Benson, Ann - Alejandro Canches 02 - Die brennende Gasse
diesmal an dem Diener vorbeischaute, war der vorher erleuchtete Raum dunkel, und es gab keine Wachen mehr.
Auf einmal, dachte sie. Warum?
Sie würde keine Antwort erhalten. Der Diener gab Marie dasselbe Pergament, erneut zusammengefaltet. »Bringt das Marcel«, wies er sie an.
» Très bien, Monsieur « , sagte Marie. » Bonsoir und merci! «
Mit einem kleinen Knicks wandte sie sich zum Gehen. Kate verweilte noch einen kurzen Moment, um wenigstens irgend etwas mitzubekommen. Schließlich nahm Marie sie beim Arm und zog sie vorwärts.
Von seinem vergitterten Fensterchen aus schaute Alejandro auf die Straße unter ihm. Intensiv starrte er in die samtige Pariser Nacht und erhoffte sich einen kurzen Blick auf die unerwarteten Besucher, die der Grund gewesen waren, daß man ihn plötzlich wieder in seine Dachkammer verbannte. Er sprach laut, um nicht aus der Übung zu kommen, und kümmerte sich nicht darum, ob die Wachen ihn verschroben fanden. Sollen sie nur. Sie verachten mich ohnehin, weil ich ein Jude bin; sollen sie mich ruhig auch für verrückt halten. »Morgen«, haderte er laut, »wird er mich seinen ausgewählten Gästen vorführen – doch heute nacht sollen diese Fremden mich hier nicht sehen!«
Er hörte das Knarren des schweren Portals und die Schritte der Besucher, die sich entfernten. Zwei Gestalten traten aus dem Hoftor, und er begriff, warum die Schritte so leicht geklungen hatten. Es sind Frauen, erkannte er. Eine sehr groß, wie meine Kate! Sein Herz schmerzte beim Gedanken an sie.
Die Besucherinnen verschwanden in der Dunkelheit, und während sie das taten, regte sich in ihm der verzweifelte Wunsch nach einfachstem Kontakt mit ihnen; denn selbst der geringste Austausch von Worten würde ihm seine verhaßte Abgeschiedenheit erträglicher machen. Mit einer der beiden Frauen den Platz zu tauschen, und sei es nur für einen Moment, wäre das größte Glück, das er sich vorstellen konnte …
Im Augenblick, sinnierte er traurig, würde ich sogar in Betracht ziehen, mich als Frau auszugeben, wenn mir dieser Umstand die Freiheit brächte.
Sie betraten das Haus durch den Dienstboteneingang der Küche, wie Kate und Karle auch am Vorabend. » Monsieur sagte, heute nacht würden viele Herren da sein«, klärte Marie Kate auf. »Sie diskutieren wieder über ihren Krieg. Er möchte nicht gestört werden. Und ich mag auch nicht von ihren albernen Forderungen gestört werden. Tu dies, Marie! Und tu das, Marie! Wir werden sie also gar nicht merken lassen, daß wir zurück sind, ja?«
Karle wird unter ihnen sein, dachte Kate. Sie ertappte sich dabei, daß sie enttäuscht war, ihn nicht für sich allein zu haben.
Das erwartete Stimmengewirr drang bis in die Küche im Untergeschoß, als Kate und Marie sich die Zeit wieder mit Kartenspielen vertrieben. Die Worte waren wegen der Entfernung nicht zu verstehen; aber die Erregtheit der Diskussion bekamen sie trotzdem mit.
»Sie lieben diesen Krieg.« Traurig schüttelte Marie den Kopf.
»Nur die, die ihn nicht selbst miterlebt haben«, berichtigte Kate.
»Und dieser Krieg ist grausamer, als man sich vorstellen kann.« Für einen Moment sah sie wieder die Greuel vor sich, deren Karle und sie auf ihrer Reise nach Paris Zeuge geworden waren. Allzu lebhaft erinnerte sie sich an das Grauen, das immer noch auf ihrer Seele lastete. Sie spürte, wie ihr Mut schwand, und Erschöpfung senkte sich schwer auf sie herab wie ein Umhang aus nasser Wolle. »Ich bin auf einmal sehr müde«, sagte sie. »Ich würde gern zu Bett gehen.«
»Werdet Ihr wieder oben schlafen?« fragte Marie, eine Augenbraue neugierig hochgezogen.
Kate schwieg einen Moment und schob dann ihre Karten zusammen. »Gibt es denn noch einen Raum?«
»Nein, aber ich könnte Euch hier in der Küche ein Lager aufschlagen, wenn Ihr wollt. Manchmal schlafe ich selbst hier, aber wo ich heute nacht sein werde, weiß ich noch nicht.« Sie zwinkerte und lachte. »Jedenfalls seid Ihr willkommen. Aber es ist nicht so bequem wie das Bett aus Stroh.«
Bequemlichkeit war etwas, das Kate heute nacht dringend brauchte, in welcher Form auch immer. »Dann werde ich wohl nach oben gehen.«
»Also wollt Ihr es bequem haben«, folgerte Marie. »Monsieur hätte sicher nichts dagegen, daß Ihr etwas Wein trinkt, bevor Ihr schlafen geht. Das tut er selbst fast immer. Er sagt, der Wein würde sein – wie soll ich es ausdrücken? – sein temperament beleben. Vielleicht verbessert er ja auch Eure … Stimmung.«
»Wenn das
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