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Benson, Ann - Alejandro Canches 02 - Die brennende Gasse

Titel: Benson, Ann - Alejandro Canches 02 - Die brennende Gasse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Benson
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paar Minuten nahm das eigenartige Trio seine Gnadenmission wieder auf. In einer Hand trug Kate Alejandros kleinen Spaten, ein jämmerliches Ding im Vergleich zu der kräftigen Eisenschaufel, die der Schmied Carlos Alderón vor so langer Zeit in Spanien für ihn angefertigt hatte. Hätte ich doch damals einen Nothelfer gehabt, um die Folgen meiner » Sünde « abzumildern, dachte Alejandro. Aber welcher Fürsprecher würde für die Sünden eines Juden einspringen? Und zu welchem exorbitanten Preis?
    Träge landete eine Fliege auf seiner Nase. Er blies nach oben, und sie flog auf der Suche nach einem anderen verschwitzten Opfer, das sie belästigen konnte, davon; schließlich ließ sie sich auf dem Leichnam nieder.
    Doch warum war es eine Sünde, nach Wissen zu streben? zermarterte er sich das Hirn.
    Der stetige Trott seiner Schritte lullte ihn ein, und Erinnerungen überfielen ihn.
    Fast zehn Jahre ist es her. Der Gedanke erfüllte ihn mit schrecklicher Reue, und bei jedem Schritt durch den Wald versank er tiefer in Melancholie. Chaotische Jahre von Pest, Aufruhr, erzwungener Wanderschaft durch ganz Europa, die letzten Jahre auf der Flucht vor den kriegführenden Truppen von Edward Plantagenet und einem Haufen Cousins eben dieses Königs sowie dem gesamten französischen Königshaus; und keiner von allen schien zu begreifen, daß der wahre Herrscher Europas jene furchtbare Pestilenz war, die sogar den Weltenschöpfer in ihrer Gegenwart erbeben ließ. Ein Jahrzehnt lang hatte Alejandro beobachtet, wie die Pest wich, zurückkehrte, wich, zurückkehrte, kreuz und quer durch Frankreich, England, Spanien, Böhmen und überall dahin eilte, wo die Ratten, ihre Überträger, Unterschlupf fanden. Fast die Hälfte der Bürger dieser »aufgeklärten« Nationen hatten sie mit Beulen bedeckt und verfault in ihre Gräber geschickt. Zehn Jahre lang waren er und das Mädchen von einem »sicheren« Ort zum nächsten geflohen und hatten ihre Identität verborgen, nur um dann festzustellen, daß es keine sichere Bleibe gab. Immer zog irgend jemand beim Anblick des maurisch aussehenden Mannes mit dem goldenen Kind die Brauen hoch. Wem glich sie, die kleine Schönheit?
    Ganz gewiß, so klagten die argwöhnischen Blicke ihn an, kann sie nicht deine Tochter sein. Und dieses Gesicht oder ein ganz ähnliches habe ich schon einmal gesehen …
    Den ersten kalten Winter hatten sie versteckt außerhalb von Calais verbracht und waren von einer verlassenen Hütte zur nächsten gezogen – denjenigen, die ihn wegen der hübschen Prämie auf seinen Kopf verfolgten, immer nur einen oder zwei Schritte voraus. Er hörte von einem Ghetto in Straßburg flüstern, und in hoffnungsvoller Erwartung ritten sie los.
    An diesem Winternachmittag fanden sie nicht den erwarteten sicheren Hafen, sondern das nackte Grauen vor. Auf dem Stadtplatz wimmelte es von Juden mit ihrer gebündelten Habe, umgeben von Bogenschützen. Sie waren aus Basel und Friedberg dorthin getrieben worden von aufgebrachten Christen, die den wütenden, unsinnigen Vorwurf gegen sie erhoben, Brunnen zu vergiften. Wie hatte er die mutigen christlichen Deputierten Straßburgs bewundert, die bekanntermaßen wiederholten, über »ihre« Juden könnten sie sich nicht beschweren; er hatte zu jedem Gott, der zuhören wollte, gebetet, diese Weisheit möge die Oberhand gewinnen. Aber an jenem Nachmittag, Freitag, den Dreizehnten, beobachtete er entsetzt, wie ein bösartiger Mob dieselben mitfühlenden Deputierten Straßburgs aus dem Rathaus schleifte und durch Sympathisanten ersetzte. Am Morgen des St.-Valentins-Tages wurden die Juden vor die Wahl gestellt: Taufe oder Tod durch Verbrennen. Vielleicht tausend waren vorgetreten, um das Sakrament des heiligen Johannes zu empfangen. Der Rest, manche sagten fünfzehntausend, wurde verbrannt. Viele zogen es vor, sich im Ghetto selbst zu opfern, statt mitsamt ihren Angehörigen auf den gemeinsamen Scheiterhaufen im Feuer zu enden.
    Er spürte gleichsam, wie ihre Asche auf ihn niederrieselte, und das Schnauben seines scheuenden Pferdes drang ihm in die Ohren. Abermals schien ihm der Schlamm der gefurchten Straßen ins Gesicht zu fliegen, ihn blind zu machen, ihm Tränen in die Augen zu treiben. Alejandro kroch das Entsetzen durch die Adern, er schrie um Gnade, betete um Erlösung …
    Überrascht vernahm er, wie Kates sanfte Stimme ihn aus seinem Abgrund rettete.
    » Père … «
    Sie hatte den Ausdruck auf seinem Gesicht schon tausendmal wahrgenommen, den

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