Benson, Ann - Alejandro Canches 02 - Die brennende Gasse
Navarras Männer kämpften wesentlich hingebungsvoller, als wir erwartet hatten – es kam uns unheimlich vor, daß ein solcher Unmensch so viel Loyalität erwecken kann.«
Er stieß einen gequälten Seufzer aus. »Gestern nachmittag erhoben wir uns gegen seine Streitkräfte, als wir hörten, daß er einen stattlichen Vorrat an Wolle beschlagnahmen wollte, den ein Bauer klugerweise heimlich gelagert hatte. Der Mann beabsichtigte einen ordentlichen sou zu verdienen, und einen Gewinn zu erzielen, der seiner Schlauheit gewiß zustand! Aber Navarra wollte diese Wolle den Webern schicken, um Winterkleidung für seine Gefolgsleute anzufertigen … es reicht ihm noch nicht, daß er jeden Sack Weizen und jeden Wurstzipfel zwischen Frankreich und Böhmen gestohlen hat, jetzt muß er auch noch das rauben, womit diese armen Seelen in der kommenden Kälte ihre Leiber zu bedecken gedachten! Zu allem Unglück waren auch noch die Königin und alle Damen im Schloß von Meaux, um sich an delikaten Speisen zu laben, während ringsherum die Bauern verhungern.«
Essen! Kate spürte, wie ihr Magen sich rührte. Während der Franzose sprach, tagträumte sie von den goldenen Brotlaiben, die Alejandro auf ihren früheren Reisen stets aus irgendeinem geheimen Versteck in seinen Satteltaschen gezogen hatte – eine Gewohnheit, die er von einem bewunderten, aber längst verstorbenen Kameraden übernommen hatte. Und ich kleine Närrin glaubte an Magie! Jetzt weiß ich, daß es Weisheit war. Sie schaute Alejandro an und sah den unruhigen Ausdruck auf seinen hageren Zügen. Zweifellos träumt auch er von diesen magischen Broten, während er den Klagen des Franzosen zuhört.
Karle ging weiter und redete, seinen Ast hinter sich herziehend. Hin und wieder drehte er sich um. »Wir hielten uns tapfer und hatten schon die Oberhand, der Sieg schien in greifbarer Nähe.« Dann mischte sich Zorn in seine Stimme. »Aber aus dem Nirgendwo kamen zwei Ritter von einem Kreuzzug zurück. So ein unglaublicher Jammer! Cousins, einer Engländer, einer Franzose. Aber beide hatten geschworen, einer bedrängten Dame beizustehen, ganz gleich, wie widerlich der königliche Schurke ist, mit dem sie das Bett teilt.«
Die Tiefe seiner Verbitterung wirkte erschütternd. »Sie waren uns überlegen; sie kamen mit Pferden und Schwertern und Bogen – wir mit unseren jämmerlichen Knüppeln und Messern konnten ihnen nicht standhalten. Inzwischen ist diese Wolle auf dem Weg zu den Webern Navarras. Zweifellos wurde sie direkt über die Leichen jener hinweggeschleppt, die starben, um sie zu schützen.«
Er schien keine Pause zu benötigen, sondern labte sich an seinen eigenen Worten. »Sie behandeln die Bauern kaum anders als Tiere; aber trotzdem erwarten sie, daß sie Tag und Nacht säen und ernten. Nun ist in ganz Frankreich dank der Plünderungen der Freien Compagnies kein Pflug mehr aufzutreiben … und selbst wenn es welche gäbe, die klapprigen Gäule, die sie nicht beschlagnahmt haben, sind zu schwach, um die Geräte zu ziehen. Und sollte es durch irgendein Wunder Pferde und Pflüge geben, so fehlt das Saatgut. Das ist alles aufgegessen worden …«
Sie hatten dieses unzufriedene Grollen auf ihren Wanderschaften schon öfter gehört, aber sich aus eigener Not immer möglichst unbeteiligt verhalten und das wachsende Chaos ignoriert. Doch Guillaume Karle schilderte den furchtbaren Zustand Frankreichs mit aufrüttelnder Leidenschaft. Während Kate zuhörte, wie er sich für die unterdrückten Bauern eingesetzt hatte, begann sie zu verstehen, daß Karle die Bürde der niedrigsten Untertanen von König Johann auf seine eigenen Schultern geladen hatte – ebenso ein Flüchtling wie sie.
Abgesehen davon besaß er kraftvolle Schultern, das konnte man nicht leugnen. Er war ein gut gebauter Mann und ungewöhnlich groß für einen Franzosen. Seine helle Haut erinnerte sie an ihr eigenes Volk, und sie ertappte sich dabei, daß sie ihn anstarrte, während die Worte aus seinem Mund strömten. Mit festen und zielsicheren Schritten bewegte er sich vorwärts, und seine grauen Augen funkelten feurig erregt. Er schien das Entsetzen über den Gnadenstoß der letzten Nacht überwunden zu haben und schmiedete neue Pläne.
Ehe die Sonne ihren Höchststand erreicht hatte, kamen allmählich vertraute Stellen in Sicht. Sie rasteten in einem kleinen Hain, als die Hütte vielleicht noch hundert Schritte entfernt war.
»Ich sehe kein Anzeichen dafür, daß irgend etwas nicht stimmt«,
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