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Benson, Ann - Alejandro Canches 02 - Die brennende Gasse

Titel: Benson, Ann - Alejandro Canches 02 - Die brennende Gasse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Benson
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wach und einsam war – wünschte Janie sich inbrünstig, Bruce hätte es nach Amerika geschafft. Im Vorjahr in London hatte sie nur wenige ruhige Stunden mit ihm verbracht. Außer ganz am Anfang hatte ihre gesamte Zusammenarbeit da drüben aus einer Schwierigkeit nach der anderen bestanden. Aber an den seltenen Treffen hatte sie ziemlich schnell Gefallen gefunden; und nun beschwor ihr Geist immer wieder dieses sichere und anziehende Bild von ihnen beiden herauf, wie sie gemütlich dahockten – ein Pärchen, das seit Jahren verheiratet ist und die beiderseitigen Schwächen kennt, ja verzeiht. In Wirklichkeit gab es eine Menge unbekanntes Gelände zwischen ihnen und noch viel zu klären.
    Doch auch wenn Tom relativ sicher war, daß Janie im Zusammenhang mit dem »Problem« nicht weiter behelligt werden würde, bestanden die Gefahren für Bruce fort. Er lebte noch immer dort und wurde beschattet, obwohl keine Anklage gegen ihn erhoben worden war und in Zukunft sicher genausowenig – die britischen Biocops, die ihn im Auge behielten, hatten nichts Schwerwiegenderes gegen ihn gefunden, als ein Techtelmechtel mit einer Amerikanerin. Aber sie wußten von seiner Verwicklung in eine gewisse schwierige Angelegenheit, um sich für ihre eigene Ohnmacht zu rächen.
    Janie ertappte sich dabei, daß sie in eigenartigem und ungewohntem Selbstmitleid versank, während sie zusah, wie die Sonne über ihrem geliebten Garten unterging. Schüttle es ab, mahnte sie sich. Zur Kapitulation bist du zu zäh. Und das stimmte – sie war findig und ließ sich nicht leicht unterkriegen. Nur schien ihr Selbsterhaltungstrieb in letzter Zeit nicht mehr ganz so kräftig, wenn sie ihn benötigte.
    Allmählich glaubte sie, sie sei sogar ein bißchen depressiv. Kein Wunder – ich hasse meine Arbeit, und der Mann, den ich liebe, befindet sich auf der anderen Seite eines großen Ozeans. Sie holte tief Luft, um sich von der Verzagtheit zu befreien, und wandte ihre Aufmerksamkeit dem Gegenstand auf ihrem Schoß zu. Obwohl es nicht darunter gelitten hatte, daß es den großen Teich in einem verschwitzten T-Shirt überquert hatte, war das Journal eindeutig uralt und sehr empfindlich. Wegen der Risse im Lederumschlag, als es in ihre Hände gelangt war, und der abgegriffenen Pergamentseiten vermutete Janie, daß es sich um ein Arbeitsbuch handelte, das regelmäßig benutzt worden war – vielleicht sogar täglich, und zwar von einer langen Reihe von Besitzern im Laufe seiner Geschichte. Jeder hatte in dem Journal unverkennbare Merkmale hinterlassen – Aufzeichnungen, Übersetzungen, hier einen Kratzer, dort einen Fleck, hin und wieder ein Eselsohr –, von dem Foto der letzten Besitzerin vor ihr selbst bis ganz zurück zu dem verblaßten, spinnwebartigen Gekritzel des Mannes, für den wohl dieses Buch ursprünglich gebunden worden war.
    Ob es teuer gewesen sein mochte, fragte sie sich, als sein Vater es ihm vor mehr als sechshundert Jahren schenkte? Und welche Münze welchen Reiches hatte er benutzt, um es zu kaufen? Der stolze Erzeuger von Alejandro Canches war vermutlich zu einem Buchbinder gegangen, um es anfertigen zu lassen; damit sein Sohn, wenn er auszog, um zu lernen, die ständige Möglichkeit hatte, das Aufblühen seines Intellekts zu dokumentieren. Irgendwann während des Medizinstudiums des jungen Mannes in Montpellier wechselte die Sprache von Hebräisch zu Französisch. Diese späteren Eintragungen waren es, die Janie mühsam entziffert hatte, Wort für Wort, und zwar durch Korrespondenz mit einer Internet-Gruppe von Frankophilen, die sich genußvoll mit la langue française ancienne befaßten. Den Folianten selbst hatte sie niemals jemandem gezeigt.
    Doch ganz gleich, wie oft sie die Seiten umblätterte und die Worte las, tauchten unentwegt neue Fragen auf. Jetzt, da sie Zeit und das Bedürfnis hatte, sich abzulenken, beschäftigte sie sich mehr und mehr damit. Es fing an, sie verrückt zu machen.
    »Wieso bist du so plötzlich von dort verschwunden?« fragte sie laut.
    Im Jahre 1358 war halb London gestorben.
    »Oder bist du weggelaufen wie ich?« fragte sie den alten Arzt Alejandro erneut.
    Aber wenn er weggelaufen war, wieso hatte er dann etwas von so großer Bedeutung zurückgelassen? Sie konnte ihn sich nicht als die Art Mann vorstellen, die eine derartige Kostbarkeit leichtfertig aufgab.
    »Na ja, irgendwann bist du gestorben, also ruhe in Frieden!«
    Der alte hölzerne Adirondack-Schaukelstuhl gab ein dünnes, aber rhythmisches

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