Benson, Ann - Alejandro Canches 02 - Die brennende Gasse
Quietschen von sich, als sie mit dem offenen Buch vor sich langsam vor und zurück schaukelte. Ich habe Bruce zurückgelassen, und er war wichtig für mich.
Aber heute herrschen ganz andere Bedingungen als damals …
Oder?
KAPITEL 3
Anderweitig hätte es vielleicht passenderes Material gegeben, das man für die bevorstehende Aufgabe hätte verwenden können; aber jetzt mußte Kate etwas Persönliches opfern, damit sie erfüllt werden konnte. Bekümmert sah sie zu, wie Alejandro eines ihrer beiden restlichen Hemden zerriß und die langen weißen Streifen benutzte, um den Amputierten sicher an den Tisch zu binden.
»Wir werden dir ein neues kaufen«, tröstete er sie.
»… falls die Freien Compagnies die Weber in Ruhe gelassen haben, damit sie Leinen für Frauen herstellen können«, sagte sie spöttisch. »Ein neues wird nicht leicht zu beschaffen sein, Père. «
»Ich weiß«, sagte er mit einem entschuldigenden halben Lächeln.
»Wenn ich ein Hemd übrig hätte, hätte ich meines hergenommen.«
»Warum nicht die Kleider des Toten?«
Karle protestierte. »Würdet Ihr ihn nackt zu seinem Gott schicken? Seit den Zeiten Adams waren die Menschen vor Gott bedeckt.«
Sie seufzte schwer. »Es wäre besser, wenn wir ein richtiges Seil hätten. Womöglich wächst in der Nähe eine geeignete Schlingpflanze, die den Bränden entgangen ist.« Sie schaute den halb bewußtlosen Mann an, der mit den zerrissenen Streifen ihres vormaligen Gewands jetzt fest an die Tischbretter gebunden war. »Aber inzwischen hat mein Hemd einem guten Zweck gedient!«
»So ist es«, bestätigte Alejandro. »Er darf nicht herunterrollen, sonst fängt er am Ende wieder zu bluten an.« Nun hauchte er sanfte Worte in das Ohr seines Patienten, obwohl der Mann ihn bestimmt nicht hören konnte. »Wir sind bald wieder da. Hier seid Ihr sicher. Hoffentlich fangt Ihr nicht an zu schreien …«
Er betete darum, den Mann noch am Leben zu finden, wenn sie zurückkehrten. Seine Zweifel behielt er für sich.
Als sie kurz vor der Morgendämmerung mit dem Leichnam von Karles namenlosem Gefährten aufbrachen, war das Licht noch schwach; außerdem wurde der Wald um sie herum tiefer, und sie mußten auf ihre Schritte achten. Nach einer Weile stahlen sich lange Sonnenstrahlen durch das Laub. Kleine, versteckte Tiere rührten sich im Dickicht, als die Fremden über den wenig benutzten Pfad schlichen. Jedesmal, wenn der Zug das nächste Vogelrevier störte, füllte sich die Luft mit schrillem Protestgekreisch. Doch keiner der Beleidigten kam aus den Wipfeln der Bäume herunter, um sie zu verscheuchen. Ihre grausige, aufgeblähte Last war abschreckend genug.
»Ein Fluch über Euer Pferd«, sagte Karle, während er sich vorwärts kämpfte. »Das ist ein widerspenstiger Esel. Wenn es meines wäre, würde ich es mit einem kräftigen Ast verprügeln für seinen Starrsinn.«
»Es hat den Geruch des Todes nie gemocht«, erklärte Alejandro.
»Deswegen scheut es dauernd. Und ich habe in meinem Leben genug Schaden durch scheuende Pferde mitbekommen. Das möchte ich nicht noch einmal erleben.« Der Anblick jenes Esels, der sich in Panik aufgerichtet hatte, begleitet vom Schreien der jungen Spanierin, als der verwesende Kadaver aus dem Karren kippte, kam ihm in den Sinn – der Beginn seiner dramatischen Flucht durch ganz Europa mit ihrem schmerzlichen Ende in London. Er schob die Erinnerung beiseite und packte den hölzernen Griff der Bahre fester.
»Müssen wir dieses Ding tragen? « sagte er. »Könnten wir es nicht hinter uns herziehen?«
»Jaja … und auf dem Waldboden eine Spur hinterlassen, der selbst ein Edelmann zu folgen wüßte«, antwortete der Franzose Karle. »Möge es Gott gefallen, daß Navarra nicht ausreitet, um mich zu suchen, bevor wir zu Jean zurückkehren. Als ich letzte Nacht unsere Spuren verwischt habe, war es dunkel, und ich mußte eilig fliehen. Unter Umständen sind sie nicht alle gänzlich ausgelöscht.« Nervös sah er sich um und prüfte die Schneise, die ihre Schritte auf den abgefallenen Ästen und Blättern hinterließen. »Wir werden einen besonders geschickten Nothelfer brauchen, der unsere Tritte auf diesem Waldboden verschwinden läßt!«
»Ein von uns beseitigter Ast wird eine bessere Wirkung erzielen als jeder Nothelfer, denke ich, und es geht mit Sicherheit schneller«, sagte Alejandro.
»Da ist was Wahres dran, weiß Gott«, keuchte Karle. »Und noch eine Wahrheit: Ich muß mich einen Augenblick ausruhen.«
Nach ein
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