Benson, Ann - Alejandro Canches 02 - Die brennende Gasse
glasigen Blick des Schmerzes, den er eindeutig nicht verbergen konnte. Er überkam ihn oft, unerwartet, fiel über ihn wie der Schatten eines Berges und nahm ihm alles Licht.
» Père, wir sind da.«
Einen Moment lang wirkte er verwirrt. »Was … wo?«
»Die Lichtung.«
»Ach ja«, stammelte er mit unsicherer Stimme. »So bald schon?«
Ihrem Gefährten entging dieses leise, geübte Ritual der Rettung nicht. Der Franzose Karle wußte ihre Mienen zu deuten und nahm an, daß die Tochter dem Vater schon viele Male zu Hilfe geeilt war. Sie hat ihn aus irgendeiner bösen Erinnerung zurückgeholt, dachte er bei sich, während er sein Ende der Bahre absetzte. Fast mechanisch tat Alejandro dasselbe.
»Kaum bald genug«, sagte der junge Franzose und wedelte mit den Armen, um die Steifheit loszuwerden. »Möchtet Ihr Euch noch länger quälen?«
Der Arzt brauchte noch einen Moment, um sich zu fassen, und Karle musterte ihn genau. Alejandro schüttelte den Kopf, um wieder klar denken zu können, und rieb sich rasch die Schläfen.
»Nein«, sagte er leise, »einstweilen war das Sühne genug.« Er streckte die Hand aus, nahm von Kate den Spaten entgegen, drückte die Spitze auf den Boden und prüfte dessen Härte. »Hier scheint die Erde weich genug. Ich werde sie lockern, und Ihr räumt sie beiseite.«
Karle nickte und ließ sich auf die Knie nieder. Jeweils nach ein paar Spatenstichen von Alejandro schaufelte Karle mit bloßen Händen das gelockerte Erdreich zur Seite. Kate half auch mit, und bald war das Loch zu tief, um die Erde vom Rand her zu entfernen. Karle sprang hinein und fuhr fort, die Brocken hinauszuwerfen. Sie hörten zu graben auf, als er bis zur Brust in der Vertiefung stand.
»Ich denke, das reicht«, meinte Karle.
Es sollte eine ganze Körperlänge tief sein, dachte Alejandro bei sich, sonst werden die Tiere kommen. Aber er hatte schon viel flachere Gräber gesehen, Massengräber, in denen Hunderte von Pestopfern bloß von einer Schaufel Erde bedeckt waren – im Vergleich dazu erschien dieses Grab eine königliche Krypta. Er reichte Karle eine Hand, um ihm herauszuhelfen, und zusammen rollten sie den Leichnam in das Loch, legten auch den abgetrennten Arm des anderen Mannes dazu.
Als die Erde wieder an Ort und Stelle und festgetreten war, standen beide Männer schweigend daneben. Kate war überrascht, daß der Franzose Karle, der seinen toten Kameraden unbedingt anständig begraben sehen wollte, so wenig Interesse zeigte, sich um die unsterbliche Seele des Mannes zu kümmern. Von Alejandro war solche Geringschätzung zu erwarten: Er hegte offene Verachtung für christliche Rituale. Doch bald wurde es ihr klar. Der Jude und der Franzose starrten einander an, weil sie mit gegenseitigem Mißtrauen beschäftigt waren. Gebete für den Toten hatten keinen Platz.
Ach Père, dachte sie traurig, wann werdet Ihr Euch von diesem Argwohn verabschieden, wenn überhaupt jemals? Sie wußte, daß es bei ihm schrecklich lange dauerte, bis er neue Menschen akzeptierte und ihnen vertraute; und solange er sich nicht sicher fühlte, behielt er seine Identität streng für sich.
Doch der Franzose war nicht so vorsichtig oder scheu. »So, nun ist es vollbracht«, verkündete Karle. »Allein hätte ich das nicht geschafft, und ich bin dankbarer für Eure Hilfe, als ich sagen kann. Ihr kennt mich überhaupt nicht, und doch habt Ihr mir beigestanden. Vielleicht deutet das auf irgendeine Verwandtschaft hin, die uns nicht bewußt ist.« Er trat aus der Lichtung und brach von einem nahen Baum drei lange, belaubte Äste ab. »Willige grüne Nothelfer für die verbotenen Schritte unserer Füße, und sehr billig erworben. Die werden wir hinter uns herziehen, wenn wir zurückgehen, und ich fordere jeden Edelmann heraus, unsere verräterischen Tritte zu entdecken!« Er reichte den beiden anderen je einen Ast. »Und dann sollten wir als neue Verwandte auf unserem Rückweg aus diesem Wald herausfinden, worin wir uns ähneln. Vielleicht werden wir einander erklären, warum wir alle drei uns verstecken …«
Doch Alejandro und Kate sagten wenig, als sie einträchtig den Wald verließen. Guillaume Karle gab ihnen keine Gelegenheit dazu.
»Die Schlacht war vollkommen lächerlich«, fing er an. »Einmal hat mir ein Söldner aus Florenz von einem Wort erzählt, das sie dort benutzen – fiasco –, wenn alles fehlschlägt. Nun, in dieser Schlacht hätte nicht mehr mißlingen können. Wir waren unterlegen an Zahl sowie Waffen, und
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