Benson, Ann - Alejandro Canches 02 - Die brennende Gasse
Rückenlehne des Fahrersitzes. »Janie, bitte – wir können sie nicht einfach dort lassen.«
Janie blickte über die Schulter zurück. Sie sah den weißen Verband um Carolines Finger und erinnerte sich, was noch vor ihnen lag – wie überaus lang diese Nacht werden würde.
Aber es ist ein Kind! Sie lenkte den Wagen an den Straßenrand und stellte den Motor ab. Die Stille war plötzlich immens.
»Was sollen wir mit ihr anfangen?« wandte Michael ein. »Wir können sie nicht mitnehmen.«
»Vielleicht ist sie von zu Hause weggelaufen«, gab Janie zu bedenken.
»Dann fahren wir sie dorthin zurück und anschließend sofort weiter.« Caroline wandte sich mit bittendem Blick an ihren Mann.
»Michael … eines Tages braucht vielleicht auch unser Kind jemandes Hilfe.«
»Hör mal«, zögerte er, »das könnte eine Art Falle sein.«
Aber Caroline blieb hartnäckig. »Wer würde ein kleines Mädchen mitten in der Nacht an den Straßenrand stellen? Wer brächte so etwas fertig? Sie muß sich verirrt haben. Bitte, Michael – wir müssen ihr helfen.«
Seine Stimme war voller Vorbehalte. »Fahr ein Stückchen zurück.«
Janie ließ den Motor wieder an und legte den Rückwärtsgang ein; jaulend setzte der Volvo zurück. Als das Kind wieder sichtbar wurde, hielt Janie an. Michael spähte einen Moment unentschlossen in die Dunkelheit, versuchte mit den Augen das Unterholz am Straßenrand zu durchdringen. »Versperrt die Türen«, riet er den Frauen. »Macht sie erst auf, wenn ich wieder da bin.«
Er stieg aus dem Wagen, setzte seinen Helm auf und ging dem kleinen Mädchen entgegen.
Wie angewiesen drückte Janie den Verschlußknopf und hörte das beruhigende Klicken. Im Rückspiegel konnte sie Michael im Schein der Rücklichter sehen, neongrün von Kopf bis Fuß. Das Kind wich vor ihm zurück, deshalb ging er in die Hocke.
Janie sah aufmerksam zu, wie die Kleine zum Wald am Straßenrand zeigte, und als Michael in diese Richtung schaute und nickte, fühlte sie sich irgendwie erleichtert, als habe Caroline mit ihrer Annahme recht gehabt. Michael streckte seine große grüne Hand aus, und das Kind nahm sie. Zusammen verschwanden sie im Gebüsch.
»Er bringt sie irgendwohin«, mutmaßte Janie, während sie in den Spiegel schaute.
Dann merkte sie, daß Michael nicht mehr zu sehen war und daher auch den Wagen nicht mehr sehen konnte.
Wir sind alle so paranoid, sagte sie sich, hier gibt es nichts, wovor man Angst haben müßte. Und der Gedanke, daß sie überreagiert hatten bloß wegen eines kleinen Mädchens, war sehr befreiend. Sie drehte sich nach Caroline auf dem Rücksitz um. »Sicherlich wohnt sie gleich da …«
Carolines Stimme überschlug sich, bevor das Krachen des Sicherheitsglases ihre Ohren erreichte. Schreiend drehte sie sich nach dem Lärm um und sah eine Axt in Zeitlupe wie durch Wasser auf das bereits zersplitterte Fenster zuschwingen. Das stumpfe Ende zeigte nach vorn, aber die Bedrohung, als es auf sie zukam, schien ebenso groß wie die der Klinge. Zwei große Hände hielten den hölzernen Griff, und dahinter, am Rande der Dunkelheit, tauchte das verzweifelte Gesicht eines Mannes schemenhaft auf.
Sie beugte sich nach innen über die Gangschaltung, weg von dem Schlag, und als Caroline erneut schrie, riß Janie den Arm nach hinten, um auf dem Rücksitz die V. M.-Tasche zu erreichen. Mit einem kräftigen Ruck zog sie sie an sich, als die Axt wieder das Glas traf. Durch irgendein wundersames Karma fand ihre Hand die Waffe, die Tom ihr gegeben hatte, und sie umklammerte das geriffelte Metall mit unbeschreiblicher Dankbarkeit. Dann fuhr sie mit einer einzigen scharfen Bewegung herum und zielte direkt auf den Schattenmann. Das Visier zitterte zusammen mit ihrer Hand.
Er hatte die Axt wieder gehoben, bereit, den vermutlich letzten Schlag zu führen, der das Fenster völlig zerstören würde.
Anschließend würde er sie aus dem Auto zerren, sie …
… unbeweglich machen …
… und am Straßenrand zurücklassen, während er mit ihrem funktionierenden, fast vollgetankten Fahrzeug floh.
Ihre Blicke trafen sich für einen Moment. Beide begriffen ganz klar, was zwischen ihnen zu geschehen im Begriff war, und alles andere stand still. Irgendwo in dem Wald hinter diesem Mann um die Dreißig mit dem scharf geschnittenen Gesicht versteckte sich vermutlich eine Frau, vielleicht mit einem weiteren Kind oder sogar zweien. Es mochte auch alte, verängstigte Eltern geben, die ihrerseits auf ihn warteten und sich
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