Benson, Ann - Alejandro Canches 02 - Die brennende Gasse
zumindest nicht, solange die Schwellung nicht abgeklungen ist.«
»Nun ja, da haben sie wahrscheinlich recht. Vorher kann keiner etwas machen. Das ist die eigentliche Crux an der ganzen Sache – die Wirbelsäule wird einfach zu dick für den Raum, den sie einnehmen darf. Und in Abrahams Fall ist dieser Raum eingeschränkt. Abwarten und Tee trinken scheint also im Moment die beste Strategie.«
»Weswegen sind Sie dann hier«, schnappte die Frau, »wenn sonst nichts zu machen ist?«
»Ich habe nicht gesagt, daß sonst nichts zu machen ist, nur daß im Augenblick abgewartet werden muß. Und hier bin ich, weil ich Ihnen einige Fragen stellen möchte. Natürlich auf freiwilliger Basis! Wenn Sie wollen, können Sie mich auch wieder wegschicken.«
»Nein«, sagte die Mutter niedergeschlagen, »ich möchte nicht, daß Sie verschwinden. Entschuldigen Sie, daß ich so schnippisch zu Ihnen war. Meine Nerven lassen mich im Stich!«
»Das kann ich verstehen.« Janie holte tief Luft und berichtete dann das Wesentliche, was sie in Erfahrung gebracht hatte, ohne allerdings zu erwähnen, wie überraschend groß die Anzahl der übrigen Opfer war. Dann begann sie mit ihren Fragen. »Der Datenbank konnte ich entnehmen, daß Sie seit fünf Jahren in dieser Stadt leben.«
Ihre Gesprächspartnerin nickte. »Ich habe Verwandte hier in der Gegend. Und das Schulsystem ist gut. Nachdem mein Mann gestorben war, wollte ich wirklich nicht mehr an unserem früheren Wohnort bleiben.«
»Und wo war das?«
»High Falls im Staat New York. Ein kleiner Ort im Tal des Hudson River. Mein Mann unterrichtete in Vassar, und das Pendeln war recht bequem, nur über den Fluß. Wir fanden es herrlich dort.«
Janie sagte: »Ich kenne die Gegend. Da gibt es ein paar schöne Flecken. Wurde Abraham geboren, während Sie dort lebten?«
»Nein, Abraham ist in Manhattan geboren. Wir zogen nach High Falls, als er ungefähr zwei Jahre alt war.« Sie schaute zu ihrem Sohn hinüber. »Zuerst war es ein bißchen schwierig, das weiß ich noch; ich war daran gewöhnt, alles bequem in erreichbarer Nähe zu haben. Aber allmählich fand ich mich zurecht und habe es liebgewonnen. Ich gewöhnte mich an das langsamere Tempo, und bald fand Abraham auch andere Kinder zum Spielen. Nach einer Weile kamen wir uns vor wie im Paradies.«
Janie zog einen Notizblock aus der Tasche und schrieb High Falls, New York auf das oberste Blatt. »Erinnern Sie sich aus der Zeit, in der Sie dort lebten, an irgendwelche ungewöhnlichen Vorfälle in der Umwelt oder andere Dinge?«
Mrs. Prives zog leicht die Stirn in Falten, während sie nachdachte. »Nicht daß ich wüßte. Mein Mann hätte sich vielleicht an etwas erinnert. Er las viel häufiger die Zeitungen als ich und achtete auf solche Dinge. Ich hatte zuviel damit zu tun, mein Kind großzuziehen, um über alles auf dem laufenden zu sein, was um uns herum geschah.«
»Und Sie haben nichts Besonderes mehr im Kopf, etwa über das Wasser oder sonst eine Umweltverschmutzung?«
»Oh, wir tranken natürlich Mineralwasser, aber wir hätten das nicht tun müssen. Sie testeten das Wasser dort dauernd. Es war sehr hart – ich erinnere mich, daß ich solches Zeug in die Waschmaschine geben mußte, damit unsere Wäsche nicht fleckig wurde – aber verseucht war das Wasser nicht.«
Hartes Wasser, kritzelte Janie. Aber sie glaubte nicht, daß das viel zu bedeuten hatte. Wasser mit hohem Mineralgehalt war in fast jedem Staat des Landes zu finden. Und es verursachte keine Knochenbrüche – im Gegenteil, es trug oft dazu bei, ihnen vorzubeugen.
»In Abrahams Krankenbericht habe ich gesehen, daß er voll immunisiert ist. Hatte er irgendwelche ungewöhnlichen Krankheiten, irgend etwas, das vielleicht nicht in seiner Datei steht?«
»Nicht daß ich wüßte. Er ist immer so gesund gewesen, deshalb ist das jetzt ja so schwer zu ertragen.« Sie sah ihren Sohn an.
»Abraham war unglaublich aktiv. Er wanderte, schwamm und …«
Sie hielt einen Moment inne, und ihre Brauen zogen sich zusammen, während sie ihr Gedächtnis durchforstete. »An eines erinnere ich mich«, sagte sie endlich. »Einmal war er in einem Ferienlager und schwamm in einem Teich, in dem angeblich Bakterien einer bestimmten Hühnerart waren, wie sich später herausstellte. Deshalb bekamen alle Jungen im Lager irgendein Antibiotikum gespritzt, damit keine Mageninfektionen entstanden. Ich weiß das deshalb noch, weil sie mich anrufen mußten, um meine Erlaubnis einzuholen. Abraham
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