Benson, Ann - Alejandro Canches 02 - Die brennende Gasse
wißt?«
Alejandros Lippen verzogen sich zu einem schwachen Lächeln. »Von meinen Lebensumständen werden wir sprechen, wenn Ihr Eure genauer dargelegt habt.«
Karle fuhr bereitwillig fort: »Letzte Nacht haben wir den königlichen Palast in Meaux angegriffen. Aber Charles von Navarra war weit besser gerüstet, als wir dachten; außer diesen beiden Männern wurden noch viele andere verwundet. Wer konnte, ist davongelaufen.«
Alejandro dachte an den Weg nach Meaux. Er hatte ihn viele Male zurückgelegt. Bei Tageslicht und ohne Bürde dauerte er weit über eine Stunde. Aber dieser Mann hatte von Meaux aus zwei verwundete Gefährten hinter sich hergezogen, und das alles im trüben Mondlicht. Seine Meinung von dem Eindringling besserte sich.
»Manche fliehen vielleicht nach Hause«, nahm Karle den Faden wieder auf. »Sie werden so viele Verwundete mitnehmen, wie sie können. Aber einige Verletzte sind sicher zurückgelassen worden. Und Gott allein weiß, was aus den Leichen jener wird, die in der Schlacht gefallen sind. Wir konnten nicht zurückbleiben, um sie einzusammeln.«
»Wer wird sich um diesen kümmern?« Alejandro wies auf den Toten auf der Bahre. »Binnen kurzem wird er ein unangenehmer Gesellschafter sein.«
Die schrecklichen Überreste begannen sich aufzublähen, da Fäulnis die inneren Organe befallen hatte. »Es ist wohl meine Aufgabe, mich um ihn zu kümmern«, sagte Karle resigniert.
»Er kann nicht in der Nähe dieser Hütte begraben werden …«
Auf der Stelle schob Alejandro einen Riegel vor.
Karle seufzte. »Dann werde ich ihn in den Wald bringen und dort begraben.« Der Einarmige schlief noch immer auf dem Tisch, und der junge Herr fügte grimmig hinzu: »Zusammen mit Jeans Arm.«
Sie hörten hinter sich etwas rascheln, als Kate sich aufsetzte. »Es gibt im Wald in nördlicher Richtung eine Lichtung«, meldete sie sich. »Dort wachsen viele Beeren, aber in letzter Zeit fanden sich keine Anzeichen dafür, daß jemand dort gewesen wäre. Es ist keine geweihte Erde, doch insgesamt scheint sie für eine Beerdigung geeignet.«
»Ich fürchte, es gibt in ganz Frankreich keinen geweihten Boden mehr«, grollte Karle. »Aber danke, daß Ihr mir diesen Ort genannt habt.«
Sie nickte in Richtung der Leiche. »Alle tapferen Männer verdienen ein würdiges Ende, nicht wahr?«
Alejandro beobachtete, wie Guillaume Karles Augen Kates Anblick in sich aufnahmen und sich dann widerstrebend von ihr lösten. Als die beiden Männern einander wieder anschauten, errötete Karle, als sei er bei einem unschicklichen Gedanken ertappt worden.
»Vielleicht – wenn Ihr damit einverstanden seid – würde Euer père Euch erlauben, mir diese Lichtung zu zeigen«, schlug er leise vor.
Für den Geschmack des Arztes antwortete sie allzu eifrig: »Das will ich gerne tun.«
»Wir werden alle zusammen gehen«, bestimmte Alejandro.
»Und was wird aus meinem Kameraden?« fragte Karle.
»Für seine Bedürfnisse sorgen wir, ehe wir gehen«, sagte der Arzt. »Ihn waschen, ihm Wasser und den Rest Laudanum geben, der mir noch geblieben ist. Und wenn man ihn auf dem Tisch festbindet, braucht man sich keine Sorgen zu machen, ihn für eine Weile allein zu lassen.«
Nicht annähernd solche Sorgen, die ich hätte, wenn Ihr mit Kate allein wärt, dachte er.
KAPITEL 2
2007
Janie Crowe hielt sich draußen in ihrem Hintergarten auf und schnitt zu den Klängen ansteigender Koloraturen von Maria Callas Büsche zurück, als das winzige Handy in ihrer Tasche zu vibrieren begann. Sie hatte den Anruf erwartet, aber war so in die Musik versunken, daß die Vibration sie ein wenig erschreckte. Als sie sich die Kopfhörer von den Ohren riß, blieben einige Haare darin hängen. Sie zuckte zusammen und zog die Strähne vorsichtig heraus; jetzt vernahm sie das schrille Vogelzwitschern eines zu warmen Frühlingstages. Sie schaute zu den Baumwipfeln auf und fauchte: »Seid still!« Über ihr verstummte der Lärm für einen Moment, ehe er von neuem einsetzte.
Doch die Vögel, die ihre kostbaren Blumen täglich mit ihren widerwärtigen Ausscheidungen verzierten, hatten eine ziemlich gewinnende Eigenschaft: Sie fraßen die riesigen, Krankheiten übertragenden Moskitos, die den ganzen Weg nach Norden bis in ihre Gegend im westlichen Massachusetts zurückgelegt hatten. Da die Vögel so reichlich Nahrung fanden und nach den letzten Wahlen auch die Luft reiner geworden war, hatten sie sich prächtig vermehrt – obwohl noch vor wenigen Jahren vom
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