Benson, Ann - Alejandro Canches 02 - Die brennende Gasse
Juden, so eine Tat.«
Dann stahl sich ein kleines Lächeln auf Myras Züge. »Aber sicher gab es gute Gründe dafür.«
»Bestimmt! Und zumindest in seinen späteren Aufzeichnungen wirkt er wie ein sehr nachdenklicher und ernsthafter Mann. Er kommt mir nicht wie jemand vor, der zu Leichtfertigkeit neigt.«
Mit etwas versonnenem Blick sagte Myra: »Niemand tut solche Dinge leichtfertig. Jedenfalls niemand, der bei Sinnen ist. Aber Sie sprechen in der Gegenwartsform von ihm. Als wäre er noch am Leben.«
Janies Ausdruck wurde melancholisch. »Mir erscheint er tatsächlich sehr lebendig. Deswegen ist es mir so wichtig, dafür zu sorgen, daß auch alles erhalten bleibt.« Sie berührte den Buchdeckel und tippte an ihre Brust. »Genau wie hier.« Nach kurzem Schweigen fügte sie hinzu: »Wissen Sie, vermutlich hat er den Band einfach umgedreht und in Frankreich von vorn angefangen. Keinem wäre auf diese Weise das Hebräische am Ende aufgefallen.«
»Das klingt überzeugend«, stimmte Myra zu, »es sei denn, jemand hätte eigens danach gesucht.« Mit fast übertriebener Behutsamkeit blätterte sie eine weitere Seite um. »Seine Handschrift ist hinreißend. So elegant.«
»Ich habe so ein Gefühl, als wäre alles an ihm elegant gewesen.«
Myra nickte. »Wann, sagten Sie, begann Alejandros Übersetzung?«
»In dem schlimmsten Jahr des Schwarzen Todes, 1348.«
»Dann sehen Sie ihn wahrscheinlich ein bißchen romantisch verklärt. Vermutlich war er nicht der draufgängerische Held, den Sie sich vorstellen. Er dürfte eine Menge Dinge getan haben, um zu überleben, die Ihnen nicht gefallen hätten. Aber so war die Zeit damals. Heute haben wir es leichter.«
Nachdenklich schaute Janie auf das Journal und blickte dann zu Myra hinüber. »Meinen Sie? Irgendwie finde ich es verlockend, in einer solchen Zeit zu leben. Die modernen Menschen sind alle so – unterdrückt, von unserer Regierung, unseren Lebensumständen …«
»Meine Liebe«, unterbrach Myra, »verzeihen Sie mir, aber Sie ahnen ja nicht, was Unterdrückung ist. Und hoffentlich erfahren Sie es auch nie.« Sie nahm das Journal und schob es vorsichtig in den Umschlag zurück. »Hören Sie, ich muß mir dieses schöne Stück näher ansehen – und es gibt ein paar Leute, deren Gehirn ich anzapfen möchte; aber die lassen sich normalerweise ziemlich viel Zeit, also wird es wohl ein paar Tage dauern, bis ich Neuigkeiten für Sie habe. Die Übertragung in modernes Englisch nimmt dann sogar noch ein bißchen mehr Zeit in Anspruch. Aber in der Zwischenzeit werde ich es mit zweihundertfünfzigtausend Dollar versichern.«
Janie blieb fast die Luft weg. »Donnerwetter!«
Der überraschte Ausdruck auf ihrem Gesicht brachte Myra zum Kichern. »Was dachten Sie denn, was ein Manuskript dieser Art wert ist?«
»Keine Ahnung. Aber nicht so viel. Vielleicht sollte ich ein paar meiner diebischen Freunde anstiften, herzukommen und es zu stehlen.«
Myra hielt inne und warf ihr einen scharfen Blick zu. »Die Reaktion unseres Sicherheitssystems würde ihnen vermutlich nicht gefallen.«
»Tut mir leid, es war dumm, so etwas zu sagen, selbst im Scherz.«
Janie lachte ein wenig nervös. »Ich schätze, das alles bringt mich ziemlich aus dem Konzept. Diese weiteren Neuigkeiten – was genau meinen Sie damit?«
»Ach, bei einem solchen Stück gibt es so viele Variablen – wo das Pergament hergestellt wurde, wer es vielleicht ursprünglich gebunden hat, welche Arten von Tinte benutzt wurden und dergleichen.«
»Also keine Punkte, die mich um den Schlaf bringen würden«, faßte Janie zusammen.
»Ob Sie es glauben oder nicht, es gibt Leute, die bringt so etwas um den Schlaf.«
»Zweifellos! Aber wenn Sie mir beschreiben könnten, wie dieser Alejandro ausgesehen hat …«
»Ich fürchte, das gehört nicht zu unserem Gebiet«, fiel Myra ihr ins Wort. »Dafür müssen Sie sich jemand anderen suchen.«
KAPITEL 13
Wo in der Nacht zuvor kühles Mondlicht durch das offene Fenster gefallen war, strömten jetzt heiße Sonnenstrahlen herein. Es brannte auf der Haut von Kates nacktem Arm, und zwar so sehr, daß es sie weckte. Sie öffnete die Augen, schaute hinaus und sah, daß die Sonne schon hoch am Himmel stand. Obwohl sie offenbar lange geschlafen hatte, fühlte sie sich immer noch müde. Langsam setzte sie sich auf und sah sich um.
Karles Kleidung lag nicht mehr in der Ecke, und sie fragte sich, wie er es fertiggebracht hatte, all das stinkende Zeug wieder anzuziehen. Vorsichtig
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