Benson, Ann - Alejandro Canches 02 - Die brennende Gasse
erhob sie sich, um sich langsam an die aufrechte Haltung zu gewöhnen, und zog dann ihre Bluse und den Rock über ihr dünnes weißes Hemd. Das einstige Weiß war jetzt grau und fleckig von der Reise. Eine gründliche Wäsche und ein paar Stunden Trocknen in der Sonne würden Wunder wirken, dachte sie sehnsüchtig, als sie mit den Fingern ihr Haar kämmte. Aber dieser Luxus war in weite Ferne gerückt, ganz zu schweigen von warmem Wasser, einem Waschtrog und Seife.
Im Krug befand sich noch ein Rest vom letzten Abend, sie spritzte sich das lauwarme Wasser ins Gesicht, da verging ihre Müdigkeit ein wenig. Ihr knurrender Magen befahl ihr, nach etwas Eßbarem zu suchen, und umgehend begab sie sich nach unten ins Hauptgeschoß.
Am Tisch des komfortablen Salons traf sie sowohl Etienne Marcel als auch Guillaume Karle an. Beide beugten sich aufmerksam über etwas, das nach Landkarte aussah. Kate vermutete, daß sie ganz vom Geschäft ihrer Revolte in Anspruch genommen waren. Allerdings sahen sie, beide frisch rasiert und ordentlich gekämmt, eher nach Leuten des Königs als nach Rebellen aus. Und zu ihrer großen Überraschung trug Karle eine frische Ausstaffierung. Wahrscheinlich von Marcel geliehen. Die Vorstellung erheiterte sie ein wenig; die beiden waren gleich groß, aber Marcel war viel dicker, ein rundlicher älterer Herr und ziemlich verbraucht. Karle dagegen war schlank, geschmeidig und, wie sie sich irritiert eingestand, sehr männlich gebaut. Nun, es spielt keine Rolle, ob die Kleider an ihm herunterhängen, dachte sie erleichtert. Wenigstens werden sie nicht riechen.
» Bonjour « , sagte sie leise, und die Männer blickten zu ihr auf.
»Ah! Mademoiselle!« grüßte Marcel schnarrend, erhob sich halb von seinem Stuhl und nickte herablassend in ihre Richtung. »Ihr habt so fest geschlafen, daß Marie schon fürchtete, Ihr wärt vielleicht zu Eurem Gott heimgekehrt. Ich bin erleichtert zu sehen, daß das nicht der Fall ist. Wir haben Euch erwartet und Euch etwas Brot zum Frühstück aufgehoben. Geht hinunter in die Küche, dort werdet Ihr Marie finden. Sie versorgt Euch!« Dann widmete er sich wieder seinen Obliegenheiten, und Kate war entlassen.
Sie sah Guillaume Karle an, der etwas höflicher nickte als Marcel. Doch sein Ausdruck konnte einen Triumph nicht ganz verbergen, als gebe es zwischen ihnen irgendeine unerklärliche, nicht definierbare Intimität. Kate fühlte sich auf einmal unbehaglich, lächelte knapp und zog sich, so rasch es ging, zurück.
Die Küche roch nach Seifenlaug e, und Kate mußte sich ihren Weg zwischen Guillaume Karles naß aufgehängten Kleidern bahnen, um die Magd Marie zu fin den. Sofort und empört platzte diese heraus: »Er wollte sie in diesem Haus doch tatsächlich wieder anziehen. Aber das habe ich nicht zugelassen.«
»Sehr weise von Euch«, lobte Kate. Sie nahm einen Hemdsärmel und hielt ihn sich unter die Nase. Sie roch nicht nur scharfe Seife, sondern dabei auch einen schwachen Duft von Lavendel. Karle war es gewiß gleichgültig, welchen Geruch seine Kleider ausströmten; Kate fragte sich, ob die Dienerin Lavendel ins Waschwasser gegeben hatte, damit er seiner Gefährtin gefiel – nämlich ihr selbst. Wirkten sie wie ein Paar? Welche Art von Paar? Sie wagte nicht, sich zu erkundigen. »Ihr habt Wunder gewirkt«, sagte sie statt dessen. » Monsieur bemerkt wahrscheinlich gar nicht, was Ihr ihm da Gutes tut, aber ich schon. Merci! Übrigens, Monsieur Marcel hat mir kühn versichert, ich würde bei Euch etwas Brot finden.«
Marie nickte und holte einen kleinen Laib aus einem Korb.
Kate nahm ihn begierig entgegen. Sie hielt ihn sich unter die Nase und sog das köstliche Aroma ein. »Woher stammt dieser feine Weizen?«
» Monsieur hat seine Verbindungen«, antwortete das Mädchen achselzuckend. »Das geht mich nichts an. Ich nehme einfach, was Madame mir gibt, um das Haus zu führen.«
»Ist Madame gegenwärtig im Haus?«
» Mais non, Mademoiselle. Monsieur hat sie weggeschickt, zu ihrem eigenen Schutz. In den Süden, wo sie bei ihrer maman wohnt.«
»Und Ihr habt sie nicht begleitet?«
Das Mädchen antwortete mit einem koketten Augenaufschlag:
»Natürlich nicht. Wer sollte sich dann um die Bedürfnisse von Monsieur le Provoste kümmern?«
Ja, wer? fragte sich Kate. Das Brot in ihren Händen war fast noch warm. Sie brach ein kleines Stück ab und steckte es in den Mund. Es war nicht das grobe, körnige Brot, das die Bauern aßen, sondern ein goldener Laib aus
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