Beobachter
ginge, dann würdest du aufhören, mit John herumzuvögeln!«
»Becky!«, sagte Gillian geschockt.
»Also, Becky, da wirfst du nun wirklich mit ziemlich heftigen Anschuldigungen um dich«, sagte Tara. »Und du solltest nicht derart vulgäre Ausdrücke benutzen.«
»Wie soll ich das denn sonst nennen, was meine Mutter und John tun? Es istvulgär, was sie tun, Tara, und deshalb brauche ich doch auch nicht nach einer vornehmen Umschreibung zu suchen.«
»Wir tun überhaupt nichts«, sagte Gillian. »Er ist ein Freund, Becky. Mehr nicht.«
Becky war voller Wut. »Hör doch auf, mich wie ein Baby zu behandeln! Du hast mir immer noch nicht gesagt, was du eigentlich an dem Abend gemacht hast, als Dad ermordet wurde. Und ich weiß genau, dass du zu feige bist, es mir zu sagen.«
»Ich habe es dir gesagt. Ich war in einem Restaurant. Allein. Ich wollte für mich sein und nachdenken.«
»Du in einem Restaurant!«, sagte Becky gehässig. »Allein! Du gehst doch nie allein essen. Du hast dich mit John getroffen, und wahrscheinlich hast du mit ihm im Bett gelegen, während jemand gekommen ist und meinen Vater erschossen hat!« Bei den letzten Worten versagte ihre Stimme. Trotz der Wut, die sie ihrer Mutter entgegenschleuderte, war es in erster Linie Schmerz, der aus ihr herausbrach, Verzweiflung und noch immer die völlige Fassungslosigkeit, in die sie die furchtbare Tat gestürzt hatte. Die eigene stundenlang durchlittene Todesangst saß ihr noch in den Knochen. Sie war ein Kind, ein verstörtes, verängstigtes und todtrauriges Kind.
»Becky, lass uns doch …«, sagte Gillian und machte einen Schritt auf sie zu, aber Becky drehte sich um und lief aus dem Zimmer. Die Badezimmertür fiel krachend hinter ihr zu, und man konnte hören, wie der Schlüssel umgedreht wurde.
Gillian und Tara sahen einander an.
»Vielleicht solltest du es nicht abstreiten«, sagte Tara. »Die Sache zwischen dir und John Burton. Sie hat einen wachen Instinkt, und sie weiß einfach, dass zwischen euch etwas ist, das nichts mehr mit einer einfachen Freundschaft zu tun hat. Jeder kann das spüren. Indem du das abstreitest, gibst du ihr das Gefühl, dass sie von dir angelogen wird, und das ist nicht gut für eure Beziehung.«
»Aber wenn ich es zugebe, hasst sie mich auch.«
»Ihr ist etwas Furchtbares zugestoßen. Ihr Vater wurde ermordet, sie selbst ist dem Killer nur um Haaresbreite entkommen. Sie wird von Albträumen heimgesucht. Ihre behütete Welt ist von einem Tag auf den anderen zusammengebrochen. Und ihre Mutter …«
»Ja?«, fragte Gillian, als Tara innehielt. »Was ist mit ihrer Mutter?«
»Ich glaube, sie hat das Gefühl, dass du ihren Vater im Stich gelassen hast. Dass er deshalb sterben musste.«
»Ich konnte doch nicht wissen …«
»Natürlich nicht. Aber versuch dir doch das Bild vorzustellen, von dem Becky gequält wird: Ihre Mutter liegt mit dem gut aussehenden Handballtrainer im Bett, und währenddessen dringt jemand daheim in das Haus ein und erschießt ihren über alles geliebten Daddy. Wen soll sie denn hassen, wenn nicht dich? Den unbekannten, gesichtslosen Täter?«
»Ich frage mich, ob wir diese ganze Situation irgendwie überstehen werden«, flüsterte Gillian.
»Es wird Zeit brauchen«, sagte Tara.
Gillian setzte sich in einen Sessel und stützte den Kopf in beide Hände. »Ich habe mich nicht Hals über Kopf in eine Affäre gestürzt, Tara, wirklich nicht. Nicht einfach nur so.Tom und ich haben uns während der letzten Jahre sehr voneinander entfernt. Ich habe mich innerhalb meiner Ehe sehr einsam gefühlt.«
»Leider ist dieser John nicht gerade der größte Sympathieträger«, sagte Tara. »Es mag sein, dass ich von Vorurteilen bestimmt werde, und ich kenne ihn ja auch bislang eher flüchtig, aber mir ist er zu attraktiv, zu selbstsicher, zu routiniert. Der ewige Verführer, der sich auf niemanden wirklich einlässt. Ich hoffe, dass du dich nicht irgendwann an seiner Seite noch verlassener fühlst als an Toms.«
»Ich weiß ja gar nicht, was aus uns wird«, entgegnete Gillian abwehrend, aber Taras Worte gingen ihr unter die Haut. Die Freundin hatte genau das ausgesprochen, was auch Gillian selbst als beunruhigend und manchmal auch als undurchschaubar empfand: Johns seltsames Leben. Seine zerbrochene Karriere. Die Tatsache, dass er nie eine länger anhaltende Beziehung hatte aufbauen können oder wollen. Seine Wohnung, in der es praktisch keine Möbel gab, als hätte er selbst davor schon Angst.
Auf einmal
Weitere Kostenlose Bücher