Beobachter
Beziehung eingehen. Das wäre mir einfach zu gefährlich.«
»Das hieße, John hätte, selbst wenn er unschuldig ist, nie wieder eine Chance auf ein normales Leben!«
» Du musst ja nicht ausgerechnet seine Chance sein …«
»Wieso nicht ich?«
»Hast du überhaupt keine Angst?«
Gillian schüttelte den Kopf. »Nein.«
»Na schön!« Tara hob ergeben beide Hände. »Es ist … Wahrscheinlich geht meine Fantasie mit mir durch. Burton ist nur … Ich meine, ich habe ihn ja nur zwei- oder dreimal gesehen, wenn er dich hier abgeholt hat, aber ich finde, dass er etwas Aggressives ausstrahlt. Er nimmt sich, was er haben möchte, zumindest ist es das, was ich in ihm sehe. Gillian, es tut mir leid, ich kann ihn nicht ausstehen, und was du mir eben erzählt hast, bestärkt die Gefühle, die er von Anfang an in mir ausgelöst hat. Ich traue ihm nicht. Ich wundere mich, dass du es tust. Aber das ist wahrscheinlich Ansichtssache. Und vielleicht bin ich auch ein wenig vorbelastet durch meinen Beruf.«
»Du denkst aber nicht, dass er etwas mit … Tom zu tun hat?«, fragte Gillian nach einer Weile, in der sie versucht hatte, das Gehörte zu verarbeiten.
»Nein«, sagte Tara, »das denke ich nicht. Ich denke nur, dass er nicht gut ist für dich. Ich glaube, er ist ein brutaler Kerl. Mit einem völlig gestörten Gefühlsleben. Das macht mir Sorgen.«
Nun schwiegen beide, jede erschöpft von der Auseinandersetzung.
Schließlich stand Gillian auf. »Ich sehe jetzt mal nach Becky«, sagte sie. Da ihre Tochter sie auf absehbare Zeit nicht in das Badezimmer hineinlassen würde und da sie das auch wusste, begriff sie durchaus, dass sie lediglich einen Vorwand suchte, um zu fliehen.
Sie fragte sich nur noch, ob sie vor Tara floh.
Oder vor sich selbst.
2
Detective Inspector Fielder war überrascht, als die Anruferin zu ihm durchgestellt wurde. Sie war in der Zentrale gelandet, und er hatte nicht damit gerechnet, von ihr zu hören.
Keira Jones. Carla Roberts’ Tochter.
»Mrs. Jones!«, sagte er. »Wie schön, dass Sie mich anrufen!«
Keiras Stimme klang klein und scheu. »Guten Abend. Ich hoffe, ich störe nicht?«
»Keineswegs. Wie geht es Ihnen?«
»Nicht besonders gut, wenn ich ehrlich bin«, sagte Keira. »Die Wohnung meiner Mutter wurde ja inzwischen freigegeben, und ich habe heute begonnen, sie auszuräumen. Irgendwann muss es ja sein. Und es ist … es fällt sehr schwer. Es kommen viele Erinnerungen hoch.«
Sie schwieg.
»Ich kann das gut nachfühlen«, sagte Fielder. »Sie gehen durch eine schwere Zeit. Ein Verbrechen ist noch etwas anderes als ein natürlicher Todesfall. Auch die Angehörigen sind von der Gewalttat betroffen.«
»Ich hatte nur noch so selten Kontakt zu meiner Mutter in den letzten Jahren«, sagte Keira leise, »und heute, als ich in ihren Sachen kramte, bin ich ihr plötzlich ganz nah gekommen. Ich sah mich wieder als Kind, und sie war meine Mummy, die immer für mich da war …« Sie stockte, schluckte.
»Ich verstehe«, sagte Fielder mitleidig.
»Also, weswegen ich anrufe«, sagte Keira mühsam gefasst. »Ich habe im Briefkasten meiner Mutter einen Brief an sie gefunden, der offenbar gerade heute dort eingetroffen ist. Ich kannte die Absenderin nicht. Eine Frau aus Hastings. Ich habe den Brief gelesen. Die Frau hat anscheinend keine Ahnung, dass meine Mutter nicht mehr lebt, aber der Mord wurde da unten in East Sussex natürlich auch nicht so in der Tagespresse ausgewalzt wie hier. Abgesehen davon haben ja auch nur wenige Zeitungen den Namen genannt. Ich bin mir nicht sicher, aber vielleicht ist der Inhalt des Briefes wichtig.«
»Was steht denn darin?«
»Nichts, was auf den ersten Blick einen Anhaltspunkt ergibt. Aber Sie waren doch so sehr auf der Suche nach irgendwelchen Menschen, mit denen meine Mutter in Kontakt stand, und ganz offenbar gab es da eine Gruppe … von der ich keine Ahnung hatte.«
»Was für eine Gruppe?«
»Wenn ich den Brief richtig interpretiere, dann ging meine Mutter bis etwa vor einem Dreivierteljahr einmal wöchentlich zu einer Art Selbsthilfegruppe. Für Frauen, die allein leben. Geschieden oder verwitwet. Sie trafen sich, um über ihre Situation zu reden. Um Menschen kennenzulernen, die ein ähnliches Schicksal erlebt haben. Meine Mutter hatte mir nie etwas davon erzählt.«
Fielder überlegte. Es war ein Anhaltspunkt, immerhin. Es konnte sein, dass er zu nichts führte und das Verbrechen an Carla Roberts nicht das Geringste mit jener Selbsthilfegruppe
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