Beobachter
ein cooler Typ, der weder stotterte noch rot wurde und der die hübsche Frau mit dem Hund zu einem Date bat – natürlich ohne sich einenKorb einzuhandeln. Er brachte damit Glanz und Freude in seinen Alltag, und wenn das gefährlich war oder grenzwertig – und ihm schwante, dass ein Psychologe eine Menge bedenklicher Bezeichnungen für sein Hobby gefunden hätte –, so war es doch die einzige Möglichkeit, die ihm blieb, mit der Tristesse, die ihn umgab, umzugehen.
Aber allmählich veränderte sich etwas, und das beunruhigte ihn.
Er ging ein paar Schritte den Strand entlang. Hier war es windiger als oben in den Straßen, und er war schnell ziemlich durchgefroren. Er hatte seine Handschuhe vergessen und blies sich immer wieder warmen Atem in seine Hände. Natürlich blieb er bei seinen klar abgezirkelten Beobachtungsrundgängen. Er hatte sogar in seinem Computer eine Datei über seine Objekte angelegt, und er vergaß an keinem Abend, pflichtschuldig alles zu notieren, was er gesehen und erlebt hatte. Aber er tat es nicht mehr mit derselben Hingabe wie früher. Und er begriff auch, warum das so war: Es lag an den Wards, besonders an Gillian Ward. Die Wards wurden immer wichtiger für ihn. Sie wurden zu seiner Familie. Sie waren ständig in seinen Tagträumen, es gab nichts, was er nicht über sie wissen, was er nicht mit ihnen zusammen erleben wollte.
Wahrscheinlich war es eine zwangsläufige Entwicklung, dass sein Interesse an den anderen Menschen, die ihn einmal so gefesselt hatten, langsam erlahmte. Er hatte das unbestimmte Gefühl, dass dies nicht gut war. Er verstand jetzt, warum er sich von Anfang an einen größeren Kreis an Objekten, deren Leben er beobachtete und schriftlich festhielt, gesucht hatte: damit nicht der Einzelne zu viel Bedeutung bekam. Damit er teilnehmen konnte an ihrem Leben, sich jedoch nicht darin verlor.
Mit Gillian könnte ihm das passieren.
Der Wind, der von Nordosten blies, war wirklich kalt. Kein Tag, um ihn am Strand zu verbringen. Im Sommer hatte es Spaß gemacht, von morgens bis abends durch die Straßen zu streifen und der bedrückenden Atmosphäre daheim zu entgehen. Jetzt im Winter sah das natürlich anders aus. Der einzige Vorteil war, dass es früh dunkel wurde und er spätestens ab fünf Uhr sehr bequem in die hell erleuchteten Räume der Häuser blicken konnte. Dafür fror man sich jedoch alle möglichen Körperteile ab.
Er hob den Kopf in den Wind, witterte wie ein Tier. Er fand, dass die Luft nach Schnee roch. Sie hatten nicht oft Schnee hier im Südosten Englands, aber er würde wetten, dass sie in diesem Jahr eine weiße Weihnacht bekämen. Obwohl sich bis dahin natürlich noch eine Menge ändern konnte.
Definitiv zu kalt, entschied er, um hier weiterzulaufen.
Er verließ den Strand, und als er oben auf der Uferpromenade an einem Kiosk vorbeikam, blieb er stehen. Leider hatte er praktisch sein ganzes Geld vorhin der raffgierigen Millie in die Hand drücken müssen, aber nach längerem Kramen in sämtlichen Taschen seiner Kleidung brachte er doch zwei Pfund zusammen. Das reichte für einen heißen Kaffee.
Er trank ihn im Stehen im Windschutz der Bretterbude und genoss das Prickeln, das die Hitze der Tasse in seinen Händen erzeugte. Direkt vor seiner Nase befand sich der Ständer mit den Tageszeitungen. Er las die Schlagzeilen, blieb an der besonders reißerisch aufgemachten Titelseite der Daily Mail hängen: Grausamer Mord in London!
Er verrenkte sich, um ein Stück von dem darunter stehenden Text zu erhaschen. Eine ältere Frau war in einem Hochhaus in Hackney ermordet worden. Die Tat zeichnete sich durch extreme Brutalität aus. Die Frau hatte geschätzte zehn Tage in der Wohnung gelegen, ehe sie von ihrer Tochter gefunden wurde. Es gab keinerlei Hinweise auf das mögliche Motiv des Täters.
»Schlimme Sache«, sagte der Kioskbesitzer, der gesehen hatte, wohin Samsons Augen glitten. »Ich meine, vor allem das mit den zehn Tagen. Dass jemand so lange tot ist und niemand merkt es. Was ist nur aus unserer Gesellschaft geworden?«
Samson murmelte etwas Zustimmendes.
»Die Welt wird mit jedem Tag schlechter«, meinte der andere.
»Das ist richtig«, sagte Samson. Er trank seinen Kaffee aus. Das Wechselgeld reichte noch für eine Daily Mail .
Er kaufte die Zeitung und zog nachdenklich weiter.
3
Wenigstens hatte sie endlich aufgehört zu zittern.
Detective Inspector Peter Fielder von der Metropolitan Police London, bekannter unter dem Begriff Scotland Yard,
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