Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Beobachter

Beobachter

Titel: Beobachter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Link
Vom Netzwerk:
ganze Zeit gedacht. Becky war der Grund. Weißt du was? Für manche Kinder ist es besser, sie wachsen ohne Mutter und Vater auf. Für manche Kinder ist jedes Waisenhaus besser. Glaub mir, ich weiß, wovon ich spreche.«
    »Aber …«
    »Halt bitte den Mund und geh endlich weiter«, befahl Tara. Sie presste die Pistole tief in die Falten von Gillians Wintermantel. Falls jemand vorbeikam, hätte er sie nicht sehen können. Allerdings ließ sich ohnehin niemand blicken. Die Straße lag wie ausgestorben in der einfallenden Dämmerung. »Wir haben sicher noch Zeit, miteinander zu reden. Später.« Sie machte eine Kopfbewegung in Richtung Garage.
    Langsam ging Gillian den Gartenweg entlang.
    10
    »Ich wusste, dass Sie wiederkommen würden«, sagte Liza Stanford resigniert. Sie hatte zunächst auf Johns Klingeln nicht geöffnet, sodass er schließlich unten auf dem gepflasterten Platz vor dem Hochhauskomplex auf und ab gegangen war in der Hoffnung, dass sie aus dem Fenster spähte und sah, dass nur er es war, der sie besuchte, nicht ihr Mann oder die Polizei oder wen immer sie fürchtete. Dann hatte er wieder geklingelt, und endlich war der Summton erklungen, mit dem sie die Tür öffnete, und oben hatte sie gestanden, die Wohnungstür einen Spalt breit geöffnet, und auf ihn gewartet.
    »Möchten Sie einen Tee?«, fragte sie, nachdem er eingetreten war.
    »Nein. Danke. Liza – kennen Sie eine Tara Caine?« Er beobachtete sie genau, während er die Frage stellte.
    Sie erschrak. Ihre Pupillen wurden größer. »Tara Caine. Ja. Ja, ich kenne sie.«
    »Ich hatte Sie gestern gebeten, mir alleszu sagen«, sagte John.
    »Nach ihr hatten Sie nicht gefragt«, entgegnete Liza leise. Sie ging ins Wohnzimmer, ließ sich auf einen Stuhl am Esstisch fallen. John folgte ihr, blieb aber mitten im Zimmer stehen.
    »Ihr Auto ist auf sie zugelassen. Und ich nehme an, sie hat auch die Wohnung gemietet?«
    Liza nickte.
    »Sie versorgt Sie mit Geld? Denn Ihr Mann dürfte seine Konten gesperrt haben, wie ich ihn einschätze.«
    »Sie hat ein Konto auf ihren Namen eingerichtet und mir die EC -Karte überlassen. Damit hebe ich Geld ab, wenn ich etwas brauche.«
    »Recht großzügig. Sie zahlt die Miete, sie zahlt Ihren Lebensunterhalt. Das ist nicht selbstverständlich, oder?«
    »Ich werde ihr alles zurückzahlen. Das haben wir vereinbart.«
    »Aha. Und wann soll das sein? Und wie?«
    »Das weiß ich noch nicht. Es musste alles so schnell gehen … Wir konnten die Dinge nicht bis zum Ende planen.«
    »Was musste so schnell gehen?«
    »Ich musste weg. Ich musste untertauchen!« Sie hatte die ganze Zeit auf die Tischplatte vor sich gestarrt, nun hob sie den Blick. John sah die Tränen in ihren Augen und den Ausdruck von Wut. »Sie können sich das nicht vorstellen. Niemand kann sich das vorstellen, der es nicht erlebt hat. Ich habe über Jahre in Todesangst gelebt. Ich habe über Jahre in Verzweiflung, Erniedrigung, in ständigen körperlichen Schmerzen und seelischen Qualen gelebt. Ich wusste, dass er mich irgendwann umbringen würde. Ich wusste es einfach.«
    »So weit wäre er nicht gegangen«, sagte John. »Ihr Mann ist, ehrlich gesagt, ein Stück Scheiße, Liza, aber er ist nicht dumm. Er hätte es nicht riskiert, ins Gefängnis zu kommen.«
    »Er wäre nicht ins Gefängnis gekommen, glauben Sie mir. Er hätte die ganze Sache nach einem Unfall aussehen lassen, er hätte ein Schlupfloch gefunden, er hätte sich irgendwie unbeschadet herausgezogen. So ist er. Ich kenne ihn lange genug.«
    Da war er abermals. Der Mantel der Allmächtigkeit, den Liza ihrem Mann bereitwillig immer wieder umhängte. Er stand über allem, vor allem über Recht und Gesetz, war nicht zu greifen und nicht zur Rechenschaft zu ziehen, ganz gleich, was er tat. Vielleicht, dachte John, bestand die eigentliche Perfidie von Männern wie Logan Stanford vor allem darin: Sie traten ihre Frauen in den Staub und hoben sich selbst in den Himmel. Schlimmer noch als die körperliche Gewalt wog die seelische, wog das, was sie mit dem Verstand ihrer Frau anstellten. Liza war eine intelligente Person. Dennoch hatte Stanford sie so weit gebracht, dass sie es glaubte und verinnerlicht hatte: Sie war ein Nichts. Er war Gott. Den Kampf gegen ihn brauchte sie nicht aufzunehmen, da sie ihn bereits in dem Moment, da sie sich auch nur mit dem Gedanken daran trug, schon verloren hatte.
    Er schüttelte den Kopf. Es war nicht der Zeitpunkt, zu philosophieren. Er wusste nicht genau, woran das lag,

Weitere Kostenlose Bücher