Beobachter
musste, denn es hatte nicht geschneit in der Zwischenzeit. Wahrscheinlich war sie einfach am Ende ihrer Kräfte.
Es konnte nicht mehr allzu weit sein bis zum Auto. Der Gedanke, sich in die weichen Polster sinken zu lassen, den Motor zu starten und die Heizung einzuschalten, verlieh ihr neue Kraft. Sie durfte jetzt nicht schlappmachen. Natürlich wäre es vernünftiger gewesen, bis zum nächsten Morgen zu warten. Ein paar Stunden Schlaf hätten Wunder gewirkt. Aber sie hatte plötzlich die Sorge gehabt, den anderen Tag nicht mehr zu erleben. Es war eiskalt in der Hütte. Die Temperaturen draußen schienen mit jeder Minute weiter zu fallen, und der vermoderte alte Holzbau bot keinen Schutz. Es bestand durchaus die Gefahr, dort im Laufe der Nacht im Schlaf zu erfrieren. Also hatte sie Gillian noch einmal nach draußen begleitet, damit diese hinter einem Gebüsch endlich pinkeln konnte, danach hatte sie ihre Füße wieder gefesselt, hatte die Fensterläden geschlossen und auch die Tür wieder sorgfältig verriegelt. Der Rest war klar: Gillian würde erfrieren oder verhungern, wahrscheinlicher war, dass sie erfror, ehe der Hunger zu einem Problem wurde. Sie hatte ihr die spärlichen Vorräte dagelassen, zwei Sandwiches, etwas Wasser, hauptsächlich deshalb, weil sie sie nicht wieder mitschleppen wollte. Viel nützen würden sie nichts. Wegen ihrer auf dem Rücken zusammengebundenen Hände konnte Gillian ohnehin nichts zu sich nehmen. Falls es ihr gelang, sich zu befreien, hatte sie doch keine Chance, aus der Hütte auszubrechen.
Leider war das nicht zu ändern. Gillian würde sterben. Sie war zu einer Gefahr geworden.
Der Daumen pochte. Die ganze Hand pochte. Das war gut, es verriet Leben und Wärme. Das Blut pulsierte in ihrem Körper. Solange es das tat, war alles in Ordnung. Solange lebte und atmete sie und würde das Richtige tun.
Die Dinge hatten sich nun am Ende wieder gefügt, Gott sei Dank. Obwohl sie einen groben Fehler begangen hatte: Auf der Fahrt zu Gillians Haus in Thorpe Bay gestern hatte sie den Namen des Maklers genannt. Ein Fehler, den sie zunächst selbst überhaupt nicht bemerkt hatte. Sie hatte nur gespürt, dass sich etwas änderte. Gillian schien plötzlich ungeheuer angespannt, unruhig. Aber das konnte Einbildung sein. Oder ganz andere Gründe haben: Gillians Verunsicherung wegen der gesamten Situation. Ihre Angst vor dem Aufbruch ins Ungewisse. Sie wollte nicht in ein Hotel und sich dort vor jemandem verstecken, der für sie nur ein Phantom war. Wahrscheinlich hatte sie Angst gehabt vor den Gefühlen, die über sie hereinbrechen würden, wenn sie einsame Meeresspaziergänge unternahm und dabei über ihr Leben nachdachte.
Und Tara hatte gedacht: Okay, und wenn du beschließt, in deinem Haus zu bleiben, dann ist es mir auch egal. Hauptsache, du verschwindest erst einmal aus meinem Umfeld.
Sie hatte tatsächlich vorgehabt, Gillian nicht mehr anzugreifen. Es war bei ihr nicht dasselbe wie bei den beiden alten Frauen.
Vielleicht kannte sie sie zu gut. War zu vertraut mit ihr. Vielleicht war es eine abergläubische Furcht, die sie plötzlich lähmte. Es war alles so einfach gewesen bei Carla Roberts und Anne Westley. Die Probleme, die sich bei Gillian auftaten, schienen eine Warnung zu sein: Lass sie in Ruhe!
Doch womöglich musste sie den Begriff Aberglauben gar nicht bemühen. Es war ein Fakt, dass es bei Gillian zweimal nicht funktioniert hatte. Beide Male hätte es schlecht ausgehen können für Tara. Klug war, wer erkannte, dass er in Begriff stand, sich zu übernehmen.
Gillians plötzliche Veränderung auf dem Weg von London nach Southend hatte sie vorsichtig werden lassen. Lass sie nicht aus den Augen, hatte ihr eine innere Stimme geraten, und deshalb war sie ihr ins Haus gefolgt. Dort war Gillian so harmlos aufgetreten, dass Tara schon geglaubt hatte, sich getäuscht zu haben. Aber zum Glück rief genau in diesem Moment dieser komische Kauz an. Wie blöd konnte ein Mensch sein? Trompetete seine Warnung über den Anrufbeantworter quer durch das Haus.
Klar, dass Gillian dies hatte herunterspielen wollen. Aber das nützte ihr nichts mehr, dazu war ihre Gegnerin zu schlau.
Über zwei Dinge hatte sie dann auf der sich ewig hinziehenden Fahrt nach Manchester beständig nachgedacht: Wie hatte Samson Segal herausfinden können, dass von ihr eine Gefahr ausging? Und wer war sein Verbündeter? Denn er hatte von wir gesprochen.
Und weshalb hatte Gillian schon vorher Verdacht geschöpft? Was war
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