Beobachter
halten die Klappe, verstanden? Und Sie stellen nichts Eigenmächtiges an.«
»Das habe ich ja versprochen. Äh … wohin fahren wir eigentlich?«
»Nach Manchester. Tara Caine ist dort geboren und aufgewachsen. Es ist eine bloße Theorie und sie ist im Wesentlichen aus Verzweiflung entstanden, aber falls Caine das Gefühl hat, mit dem Rücken zur Wand zu stehen, könnte sie versuchen, sich an einen Ort zu flüchten, an dem sie sich gut auskennt. Ihre Heimat.«
»Zu ihren Eltern?«, meinte Samson.
»Sie hatte offenbar nur noch eine Mutter«, sagte John, »und diese wurde heute früh von der Polizei in Manchester tot in ihrer Wohnung aufgefunden. Ermordet, und zwar wahrscheinlich von demselben Täter, der auch hier gewütet hat. Möglicherweise Tara Caine.«
Samson blieb der Mund offen stehen. »Du lieber Gott …«
»Nichts wie los«, sagte John.
Als sie sich Manchester gegen Abend näherten, fragte Samson, der die ganze Zeit über geschwiegen und offenkundig düsteren Gedanken nachgehangen hatte: »Was tun wir als Erstes, wenn wir da sind?«
»Wir suchen Mrs. Caines Adresse«, sagte John. »Und dann will ich sehen, ob ich irgendetwas in Erfahrung bringen kann. Es muss Nachbarn geben, die die Familie schon lange kennen. Vielleicht gibt es Orte oder Plätze, wo sie schon früher gern hingegangen ist. Es besteht die Möglichkeit, dass Tara dorthin mit Gillian geflohen ist.«
Samson nickte. John warf ihm einen Blick von der Seite zu. Samson sah bekümmert und sorgenvoll aus.
Er liebt Gillian, dachte John. Er hat entsetzliche Angst um sie.
»Glauben Sie, wir haben irgendeine Chance?«, fragte Samson.
»Bei einer Suche nach der Nadel im Heuhaufen wäre mir wohler«, meinte John, aber dann setzte er aufmunternd hinzu: »Kopf hoch, Samson. Wir haben gar nicht so schlechte Karten!«
Er verschwieg, was er eigentlich dachte: Haben wir überhaupt eine Chance?
In einem Punkt hatten sie zumindest Glück: Gleich die erste Adresse in einem sozial eher schwachen Vorort von Manchester, die sie anfuhren, erwies sich als die richtige. Ein Haus aus Ziegelsteinen, ein kleiner Hof. Ein Schild wies darauf hin, dass man hier Fahrräder kaufen oder reparieren lassen konnte. Interessant für John war aber eigentlich nur eines: das Absperrband der Polizei, das vor dem Hoftor und ein Stück entlang der Mauer gespannt war. Es konnte sich nur um den Ort handeln, an dem man die tote Lucy Caine-Roslin gefunden hatte.
Er parkte das Auto gleich neben einem Schneehaufen am Straßenrand. Die beiden Männer stiegen aus. Eisige Kälte umfing sie, aber die Straßenlaternen spendeten zumindest genügend Licht. John betete praktisch nie, aber angesichts der Möglichkeit, dass sie in dieser Nacht noch lange mit dem Auto unterwegs sein würden, sandte er nun doch ein kurzes Stoßgebet zum Himmel: Bitte keinen neuen Schnee!
»Was tun wir jetzt?«, fragte Samson. Er schaute hinüber zu dem Haus, an dessen Tor das Absperrband im kalten Wind flatterte. »Ist das das Haus …?«
»Ja«, sagte John, »das ist es.«
Das Haus, in dem die Mutter der Staatsanwältin gelebt hatte und gestorben war. Das Haus, in dem Tara Caine ihre Kindheit verbracht hatte? Er konnte es nur hoffen. Denn nur dann war durch eine Nachbarschaftsbefragung etwas in Erfahrung zu bringen.
Es war kurz nach sechs Uhr. In den meisten Wohnungen ringsum brannten Lichter. Die Bewohner hielten sich daheim auf, hatten aber vermutlich noch nicht mit dem Abendessen begonnen. Eigentlich keine schlechte Zeit für das, was er vorhatte.
»Wir werden Folgendes tun«, sagte er, »wir spielen mit relativ offenen Karten, aber wir sagen nichts von Gillian und nichts davon, dass Tara Caine womöglich eine verdammt gefährliche Person ist. Wir sagen aber, dass wir sie suchen. Wir sind Freunde von ihr aus London. Dass ihre Mutter heute ermordet aufgefunden wurde, dürfte sich hier in diesem Viertel bereits herumgesprochen haben. Diese Dinge machen ja immer blitzschnell die Runde. Tara ist verschwunden, und wir sind in größter Sorge um sie. Wir möchten wissen, ob jemand einen Ort kennt, an den sie sich zurückgezogen haben könnte. Verstanden?«
»V…verstanden«, stotterte Samson. Bleich und nervös, wie er dastand, erschien er John nicht als die günstigste Besetzung für das Vorhaben, und kurz überlegte er, ob es besser war, ihn ins Auto zu setzen und dort warten zu lassen, bis er, John, alles allein erledigt hatte. Aber es konnte sein, dass eine Menge Häuser abgeklappert werden mussten,
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