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Beobachter

Beobachter

Titel: Beobachter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Link
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furchtbar viel um die Ohren den ganzen Tag, man kann nicht dauernd darauf achten, was rechts und links passiert. Außerdem hat sie doch eine Tochter, wieso hat die sich denn nicht gekümmert? Ich kann mir weiß Gott nicht noch die Sorgen anderer Leute aufhalsen! Ob ich die Tochter näher kenne? Nein, gar nicht. Habe sie manchmal gesehen, mit ihrem schicken Jaguar und den feinen Klamotten. Hält sich wahrscheinlich für etwas Besseres. Soll ja irgendein hohes Tier beim Gericht in London sein.«
    Manche waren auch froh gewesen, dass jemand in ihren einsamen, langen Abend platzte, und hatten bereitwillig erzählt – nur nicht das, was John interessierte. Mühsam hatte er langatmig angelegte Schilderungen persönlicher Lebensläufe abgewürgt, um auf sein eigentliches Anliegen zurückzukommen. »Das ist wirklich sehr interessant. Aber ich suche dringend die Tochter von Mrs. Caine-Roslin. Tara Caine. Haben Sie sie als Kind oder Teenager gekannt? Fällt Ihnen ein Ort ein, an den sie sich zurückgezogen haben könnte?«
    Immerhin gab es einige, die Tara kannten. Die schon in der Straße gewohnt hatten, als Tara noch zu Hause gelebt hatte. John bekam sie als ein sehr hübsches, aber auch ungewöhnlich dünnes und immer in sich gekehrtes Kind und junges Mädchen geschildert. Mit niemandem aus der Straße war sie in näheren Kontakt getreten, hatte sich völlig abgeschottet.
    »Die wirkte immer so unglücklich«, berichtete eine ältere Frau, die nach eigenen Angaben im Jahr 1981 nach Gorton gezogen war. »Ihr Vater war gestorben, und die Mutter hatte sich neu verheiratet. Der Kerl war irgendwie seltsam. Ich meine, er wurde nicht auffällig oder so. Trank nicht oder randalierte. Er übernahm die Fahrradwerkstatt von dem verstorbenen Mr. Caine und führte das Geschäft ganz ordentlich weiter. Aber irgendetwas an ihm … ich weiß nicht. Ich mochte ihn nicht. Niemand in der Straße mochte ihn besonders.«
    »Wie war sein Verhältnis zu seiner Stieftochter?«
    »Weiß nicht genau. Ich hatte eigentlich keinen Kontakt zu der Familie. Ich weiß nur, dass das Mädchen krank auf mich wirkte. Krank an Leib und Seele.«
    »Gab es einen Ort, an den sie sich flüchtete? Um der möglicherweise schwierigen Familiensituation zu entgehen?«
    Die Frau hatte mit den Schultern gezuckt. »Kann sein. Aber ich weiß es nicht. Tut mir leid. Ich würde Ihnen gern helfen.«
    Er stand in der Dunkelheit auf der Straße, fröstelte im schneidenden Wind und starrte auf eine leere McDonald’s-Tüte, die über den Gehsteig getrieben wurde. Es begann durchaus ein Bild in seinem Kopf zu entstehen, ein Bild von Tara Caine, dem Kind, das sie gewesen war, von ihrem Lebensweg, der in einem sozial schwachen Viertel von Manchester seinen Anfang genommen und sie über eine Universität in einen hoch angesehenen Beruf in London geführt hatte. Wer in Gorton startete, ging mit Sicherheit unter erschwerten Bedingungen ins Rennen. Tara Caine musste über eine Menge Klugheit, Ehrgeiz und Disziplin verfügen, um es so weit gebracht zu haben.
    Es gab einen frühen, tiefen Bruch in ihrem Leben. Sie war noch ein Kind gewesen, als ihr Vater starb. Den Stiefvater schien niemand gemocht zu haben, obwohl auch niemand etwas Konkretes gegen ihn hatte vorbringen können. Das Leben der Familie schien jedenfalls in geordneten Bahnen weitergegangen zu sein. Das Haus gehörte ihnen, und die Fahrradwerkstatt hatte sie alle ernährt.
    Trotzdem lag Mrs. Caine-Roslin am Schluss ermordet in ihrer Wohnung.
    Ihre Tochter hatte möglicherweise vier Menschen umgebracht.
    Sie wirkte krank auf mich. Krank an Leib und Seele.
    Das sagte ihm noch nichts darüber, wo sie sich jetzt aufhielt. Und wo Gillian war.
    Er kam nicht weiter. Die Zeit verrann, und er war seinem Ziel nicht näher gekommen. Und er wusste nicht einmal, ob er sich überhaupt auf der richtigen Spur befand. Nur die Tatsache, dass Tara in Manchester aufgewachsen war, hatte ihn in diese Stadt geführt. Das mochte ein völliger Irrtum sein. Die beiden Frauen konnten genauso gut am anderen Ende Englands sitzen.
    Er hob den Kopf und gewahrte eine Gestalt auf der anderen Straßenseite. Samson. Er winkte mit beiden Armen.
    John war mit drei Schritten bei ihm. »Was gibt es?«
    Samson stotterte vor Aufregung. »I…ich habe jemanden. Könnte etwas sein. Ein alter Mann. Er kennt die Caines seit ewigen Zeiten. Er … Ach, kommen Sie mit!«
    Im Laufschritt rannten die beiden Männer die Straße hinunter. Das Haus, vor dem Samson schließlich

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