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Beobachter

Beobachter

Titel: Beobachter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Link
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logisch und erklärbar zu halten. Für etwas, das folgerichtig hatte geschehen müssen. Sie wusste, dass sie damit in Konflikt mit dem Gesetz geriet, aber auf der Ebene einer übergeordneten, jenseits aller menschlichen Gesetzgebung angesiedelten moralischen Instanz hielt sie sich für vollkommen unschuldig. Aus tiefster, unerschütterlicher Überzeugung.
    Er hat mich fünf Jahre lang vergewaltigt. Ted Roslin, mein Stiefvater. Manchmal kam er wochenlang jede Nacht in mein Bett. Sein Hunger wurde größer, je mehr er ihn stillte. Er vergewaltigte die kleine Tochter der Frau, die er geheiratet hatte – die er nur deshalb und aus keinem einzigen anderen Grund geheiratet hatte als dem, dass sie ebendiese Tochter hatte. Ich war ein hübsches Kind. Blond. Langbeinig. Mit großen, leuchtenden Augen. Ich hatte ihm auf den ersten Blick gefallen, wie er mir verriet, mehr noch: Er hatte sich schnell in eine regelrechte Besessenheit gesteigert. Daraufhin meine Mutter umgarnt. Und ein leichtes Spiel gehabt. Denn sie war so entschlossen, wieder einen Partner zu finden, dass sie nur allzu bereit war, jedes Warnsignal oder jede Auffälligkeit vollkommen zu ignorieren. Zum Beispiel den Umstand, dass der gute Ted von Anfang an bei ihr keinen hochbekam. Okay, daraus muss man noch nicht auf eine perverse Vorliebe für Kinder schließen. Aber man versucht doch, den Grund herauszufinden, oder? Das tat sie aber erst, nachdem er sie geheiratet hatte und sich nicht mehr so leicht auf und davon machen konnte. Da stank es ihr dann natürlich schon, dass er sie offenbar so erotisch fand wie einen toten Fisch. Na ja, irgendwann kapierte sie, woran es lag. Er gab sich schließlich keine große Mühe mehr, seine »besondere Beziehung« zu mir zu verbergen. Da wusste Mum dann, was los war. Sie hatte wütende, eifersüchtige Diskussionen deswegen mit ihm. Verstehst du? Was er mit mir tat, störte sie gar nicht so sehr, schlimmer war für sie, dass er es mit ihr nicht tat. Aber bei allen Wortgefechten, die sie sich mit ihm lieferte, lenkte sie stets alsbald ein. Denn größer als alles, größer als ihre Eifersucht auf mich, größer als ihre weibliche Gekränktheit, war die Angst, er könnte sie verlassen. Sie riskierte es nicht, ihn wirklich zu verärgern. Sie arrangierte sich mit der Situation, damit er nur blieb.
    Gillian riss sich zusammen. Sie merkte, dass sie seit Minuten auf die Läden starrte, ohne sie wahrzunehmen. Sie hatte Taras Stimme gelauscht, die noch immer, nach Stunden, in ihrem Kopf dröhnte. Trotz der brenzligen Situation, in der sie sich befand, hatte sie ihr vollkommen entsetzt zugehört, als sie in einem gleichförmigen, manchmal fast heiteren, ab und zu ironischen Tonfall von ihrer Jugend erzählte – von der Zeit nach dem Tod ihres geliebten Vaters.
    Von der Zeit in der Hölle.
    Gillian schob ihr eigenes Grauen, das ungebrochen von der Erinnerung an das Gehörte heraufbeschworen wurde, beiseite. Sie hatte keine Zeit, mit dem Verarbeiten dessen zu beginnen, was sie erfahren hatte. Später. Wenn sie in Sicherheit war.
    Die Fensterläden.
    Sie bestanden aus zusammengefügten Brettern und waren mit jeweils zwei Scharnieren auf jeder Seite an den Wänden befestigt. Die Scharniere waren über Eisenbänder, die in das Holz verschraubt waren, mit den Läden verbunden. Gillian sah im Licht ihrer Taschenlampe, dass die Zeit, die Feuchtigkeit und der damit einhergehende Rost den Schrauben bereits heftig zugesetzt hatten. Sie probierte, die Spitze von Taras Wohnungsschlüssel in einen der Schraubenschlitze zu schieben, in der Hoffnung, die Schraube dann drehen zu können, aber der Versuch misslang. Der Schlüssel rutschte immer wieder ab, zudem waren die Schrauben so verrostet, dass man sie wahrscheinlich nicht einmal mit dem richtigen Werkzeug hätte bewegen können. Die Bretter selbst erschienen Gillian zu dick und zu fest ineinandergefügt. Undenkbar, sie aufbrechen zu können.
    Sie suchte die gesamte Konstruktion nach einer Schwachstelle ab. Das Holz war offensichtlich nie mit Farbe in Berührung gekommen und im Laufe der Jahrzehnte völlig grau geworden. Gillians Augen blieben an einem der verschraubten Eisenbänder hängen. Um das Band herum hatte das Holz eine andere Färbung angenommen, die Fasern sahen nicht grau, sondern eher grünlich, fast schwarz aus. Gillian tastete das Holz mit den Fingern ab. Es schien weicher zu sein als an den übrigen Stellen. Mit dem spitzen Wohnungsschlüssel von Tara stieß sie dagegen.

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