Beobachter
sehr eindringlich. Irgendwann hämmerte es nur noch in meinem Kopf. Vielleicht habe ich deshalb einen etwas gequälten Eindruck gemacht.«
»Ja, das war die Mutter von Philip«, erklärte John, »ein sehr netter, aufgeweckter Junge. Meiner Ansicht nach hat er überhaupt keine Allergien. Er hat diese Mutter, und das ist sein ganzes Problem.«
Er sagte das so trocken und sachlich, dass Gillian plötzlich lachen musste. Sie war über sich selbst erstaunt. So komisch waren seine Worte nun auch nicht gewesen. Aber das Lachen kam tief aus ihrem Inneren, entstand irgendwo in ihrem Bauch und drängte sprudelnd nach oben. Sie lachte befreit und lebhaft und dachte, dass sie ewig nicht mehr wirklich gelacht hatte, so ganz aus der Tiefe heraus, aber zugleich war ihr klar, dass etwas nicht stimmte, weil sie heftiger lachte, als es der Situation angemessen war, dass sie dicht davor war, hysterisch zu werden, und es schien ihr auch, als blicke John Burton sie erstaunt an.
»Aber nicht doch, was ist denn?«, fragte er und legte die Hand auf ihren Arm, und da erkannte sie, dass sie nicht mehr lachte, sondern weinte, und dass sie überhaupt nicht bemerkt hatte, wie das eine in das andere übergegangen war. Die Tränen strömten ihr über das Gesicht, dessen Haut sich schon vorher feucht angefühlt hatte vom Nebel und die nun nass und salzig wurde.
»Ich weiß nicht«, stieß sie hervor, »Entschuldigung … ich weiß nicht …«
Entsetzt stellte sie fest, dass sie nicht aufhören konnte zu weinen.
»Oh Gott«, stöhnte sie.
Kurz entschlossen drückte Burton seine Zigarette aus, nahm auch Gillian die Zigarette aus der Hand und versenkte sie im Blumenkübel. Dann umfasste er ihren Arm.
»Kommen Sie. Bevor andere Sie hier draußen sehen … Sie möchten denen sicher nicht das Futter für einen monatelangen Tratsch liefern.«
Sie konnte nichts sagen, nur den Kopf schütteln. Willenlos ließ sie sich von ihm über den Parkplatz führen, stieg in ein Auto, dessen Tür er für sie geöffnet hatte. Sie registrierte, dass er von der anderen Seite einstieg und neben ihr saß. Sie weinte noch immer, aber es gelang ihr zumindest, ihre Handtasche zu öffnen und nach einem Taschentuch zu kramen.
»Es tut mir so leid«, schluchzte sie.
Burton schüttelte den Kopf. »Hören Sie auf, sich zu entschuldigen. Ich habe Sie den Abend über beobachtet und gesehen, wie unglücklich Sie waren, und wissen Sie, was ich dachte?«
»Nein.«
»Ich dachte: Irgendwann fängt sie an zu weinen. Und ich hatte gehofft, dass Ihnen das nicht da drinnen passiert. Letztlich ist es mir jetzt hier in meinem Auto lieber.«
Sie fand endlich ein Taschentuch, schnäuzte sich die Nase. Die Tränen liefen noch, aber der Ausbruch wilder, ungebremster Verzweiflung war vorüber.
»Mir ist das, ehrlich gesagt, auch lieber«, sagte sie, »vielen Dank.«
»Geht’s wieder?«
»So einigermaßen. Aber ich kann da jetzt nicht rein.«
Burton überlegte. »Es gibt hier in der Nähe ein Pub. Wenn Sie mögen, können wir dort einen Schnaps trinken. Das hilft manchmal.«
»Gute Idee. Ich hoffe, ich bin Ihnen nicht zu lästig.«
Er ließ den Motor an und steuerte den Wagen aus der Parklücke. »Glauben Sie, ichhabe große Lust auf die Gesellschaft da drinnen?«
»Schwer vorstellbar.«
»Eben.«
Ein paar Minuten später erreichten sie das Halfway House . Es lag an der Eastern Esplanade, gleich am Strand und mit direktem Blick auf den Fluss, den man jetzt in Dunkelheit und Nebel jedoch nur ahnen konnte. Die Fenster waren hell erleuchtet, und es klang Musik nach draußen.
»Nicht das Beste, was die Stadt zu bieten hat«, sagte Burton, als sie ausstiegen, »aber dafür gleich in der Nähe. Und Sie treffen vermutlich niemanden, den Sie kennen.«
Stimmengewirr und lautes Gelächter schlugen ihnen entgegen. Gillian gewahrte einen Raum voller Menschen, eine Bar, etliche Tische und Stühle. Es gab keine Bilder an den weißgekalkten Wänden, keine Pflanzen vor den Fenstern. An Nüchternheit war dieser Ort kaum zu überbieten, was seiner Beliebtheit keinen Abbruch zu tun schien. Im Publikum mischten sich alle Altersgruppen, allerdings erkannte Gillian, dass John recht gehabt hatte: Es war nicht der Ort, den Tom aufgesucht hätte. Oder sonst jemand aus ihrem Bekanntenkreis.
Burton entdeckte einen freien Tisch mit zwei Stühlen und bahnte den Weg durch die Menge. »Was möchten Sie trinken?«
»Irgendeinen Schnaps. Am besten einen doppelten.«
Er nickte und drängte sich in
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