Beobachter
melde ich mich arbeitslos, und dann packe ich das Problem an!
Aber nie hatte er es geschafft. Seine Sehnsucht, weiterhin die Menschen zu beobachten, an deren Leben er so intensiv, viel intensiver, als er es Bartek oder irgendjemandem sonst vermitteln konnte, Anteil nahm, war zu groß. Sein eigenes Leben ohne sie weiterzuführen erschien ihm sinnlos.
»Wenn du dich wirklich bemühst, wirst du auch etwas finden«, sagte Bartek optimistisch, und dann wechselte er zu Samsons tiefer Erleichterung das Thema und wandte sich wieder seinen eigenen Zukunftsplänen zu: der geplanten Hochzeit, seinem Wunsch, für sich und seine Braut eine Eigentumswohnung zu kaufen, dem Problem, dafür einen Kredit zu bekommen, und, und, und … Samson ließ das alles an sich vorbeirauschen. Er hatte seit dem Frühstück nichts gegessen, und seine finanzielle Situation ließ es nicht zu, dass er sich auch nur einen Burger bestellte, das billigste Gericht auf der Karte des Pubs. Aber das machte nichts. Ihm war auf eine angenehme Art etwas schwindelig, und alles ringsum erschien ihm ein wenig gedämpft, konturenlos, angenehm verschwommen: die Stimmen der Menschen, ihr Lachen und Plaudern, das Klirren der Gläser, die kalte Luft, die von draußen in den Raum fegte, wenn jemand kam oder ging. Barteks Gelaber. Alles.
Er dachte an Gillian Ward.
2
Wenn ich nur unauffällig verschwinden könnte, dachte Gillian.
Aber natürlich ging das nicht. Sie konnte nicht aufbrechen ohne Becky, und damit entfiel zumindest jede Möglichkeit eines unauffälligen Abgangs. Die Kinder der verschiedenen Handballgruppen tobten unten auf dem Spielfeld herum, Becky in schwarzen Leggins und pinkfarbenem T-Shirt als eine der Wildesten mitten unter ihnen. Unmöglich, sie dort herauszulösen. Die Eltern, vorwiegend Mütter, saßen in dem von der eigentlichen Sporthalle durch eine Glasscheibe abgetrennten Restaurant, das zum Club gehörte und in dem Vereinssitzungen und Feiern stattfanden. Der Raum war weihnachtlich geschmückt, und von einem CD -Player erklangen Weihnachtslieder. An der Bar konnte man Kaffee, Tee oder Sekt bekommen. Das Essen hatten die Eltern selbst mitgebracht und auf einem langen Tisch ein Buffet aufgebaut. Es gab Unmengen an Weihnachtsplätzchen, Plumpudding und verschiedenen Kuchen, aber auch zahlreiche Salate, zwei Käseplatten, Schüsseln mit Knabbergebäck. Niemals würde das alles aufgegessen werden können. Gillian hatte einen Schokoladenkuchen gebacken und zu den anderen Sachen gestellt, aber noch niemand hatte sich etwas davon genommen, wie sie aus den Augenwinkeln erkennen konnte; ein Umstand, der sie zu ihrer eigenen Überraschung in einen fast kindlichen Kummer trieb. Ihr Kuchen sah nicht schlecht aus. Allerdings gab es noch zwei weitere, nahezu identisch anmutende Schokoladenkuchen, und vielleicht war das der Grund.
Diana hatte in letzter Sekunde abgesagt, weil sich Darcys Halsentzündung verschlimmert hatte, und da Gillian zu niemandem sonst hier je in Kontakt getreten war, hatte sie die erste halbe Stunde völlig allein herumgesessen, hatte sich an ihrer Kaffeetasse festgehalten und ohne jeden Appetit ein paar Kekse gegessen; irgendetwas musste sie schließlich tun, wenn sie nicht nur sinnlos an die Wand starren wollte. Alle anderen Mütter schienen miteinander befreundet zu sein, denn es herrschte ein schier undurchdringliches Gewirr aus Rufen, Lachen und Reden. Jeder fühlte sich aufgehoben, jeder war glücklich.
Jeder außer Gillian.
Schließlich hatte sich eine Mutter neben sie gesetzt, aber dies nur deshalb, weil sie später gekommen war und keinen anderen Platz fand. Sie stellte ein Tablett vor sich auf den Tisch, beladen mit verschiedenen Salatsorten, Käse und einem großen Glas Sekt.
»Gott, habe ich Hunger«, sagte sie und fügte mit einem Blick auf Gillians leere Kaffeetasse und den Unterteller mit zwei angenagten Weihnachtsplätzchen darauf hinzu: »Sie nicht?«
»Nicht so richtig«, sagte Gillian.
Die andere musterte sie. »Sie sind Gillian, stimmt’s? Die Mutter von Becky?«
Gillian nickte und fragte sich, weshalb die anderen Frauen das immer wussten. Wie man hieß und wer die Mutter von wem war. Sie selbst hatte keine Ahnung, wem sie welches Kind zuordnen sollte.
Die andere Mutter begann eifrig zu essen und dabei ausgiebig von ihrem Sohn zu erzählen, der sich seit frühester Kindheit mit Neurodermitis herumschlug und auch sonst mit Allergien und jeder Menge Nahrungsmittelunverträglichkeiten zu kämpfen hatte. Sie
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