Beobachter
stets einen Kompromiss mit einem anderen Menschen finden zu müssen. Und nun würde sie eine Wohnung mieten, die ihre persönliche Traumwohnung war. In ihrer Traumgegend. Und sie würde sie ausschließlich nach ihren eigenen Vorstellungen einrichten.
Auf einmal fühlte sie sich so beschwingt wie schon lange nicht mehr. Zum ersten Mal seit Seans Tod wurde sie von einer schon fast vergessenen Aufbruchstimmung ergriffen. Von einer freudigen Erregung. Erwartung.
Sie goss den Tee auf und zündete Kerzen an. Es würde ein wunderbarer Abend werden. Sie würde sich mit ihrer Zukunft beschäftigen, Fotos betrachten, Grundrisse studieren, Tee trinken und später vielleicht, zur Feier des Tages, noch ein Glas Sekt.
Sie setzte sich an den Tisch.
Und in diesem Moment vernahm sie das Geräusch.
Der Wald draußen und auch das Haus waren ständig voller Geräusche, aber die hatte Anne längst auf irgendeiner Ebene ihres Bewusstseins abgespeichert. Sie kannte das Ächzen im Dachgebälk, das Gluckern in den Heizungsrohren, das Rauschen des Windes in den Bäumen und die Stimmen der Tiere, die um sie herum lebten. Doch dieses Geräusch nun war anders und ließ sie jäh den Kopf heben.
Es klang, als sei jemand auf der Veranda vor der Küche.
Ihr erster Gedanke war, dass Mr. Palm womöglich etwas vergessen hatte und noch einmal zurückgekommen war, aber es gab keinen Grund, weshalb er dann nicht vorn an der Haustür hätte läuten sollen.
Angestrengt blickte sie durch die Scheiben, aber es war stockdunkel draußen und hell erleuchtet drinnen; sie konnte nichts anderes sehen als ihre Küche, die Kerzen, die Teekanne und eine Frau, die mit weit aufgerissenen Augen am Tisch saß.
Wieso hatte sie nicht vorhin, als der Makler noch in der Nähe war, als sie noch nicht wieder so jämmerlich alleinhier draußen gewesen war, die Fensterläden geschlossen?
Weshalb hatte sie überhaupt nicht längst ihre Sachen gepackt und sich bei einer Freundin in der Stadt oder in einem Hotel einquartiert?
Sie erhob sich, hielt den Atem an, lauschte nach draußen. Nichts war mehr zu hören, was sich von den üblichen Lauten unterschied.
Vielleicht habe ich es mir nur eingebildet, dachte sie, meine Nerven sind langsam ziemlich angeschlagen.
Es war wichtig, dass sie die Fensterläden schloss. Sie konnte sich dann sicher fühlen. Die Läden aufzubrechen würde jeden, der hinein wollte, eine Menge Kraft und Zeit kosten und dazu erheblichen Lärm verursachen. Das Schlimme war nur, dass Anne die Terrassentür würde öffnen und hinaustreten müssen, um die Läden aus der Halterung an der Hauswand zu lösen und nach vorne zu klappen.
Benimm dich nicht wie eine hysterische alte Frau, sagte sie streng zu sich. Du hast ein ungewöhnliches Geräusch gehört, zumindest bildest du dir das ein. Vielleicht war da gar nichts. Du könntest es ja jetzt schon nicht einmal mehr beschwören. Du drehst langsam durch, und das kannst du dir nicht leisten. Also schließ jetzt die verdammten Läden!
Du hast nicht nur ein Geräusch gehört. Da war ein Auto. Mehrmals. Mitten in der Nacht. Hier stimmt etwas nicht, und das hat nichts mit Hysterie und Einbildung zu tun!
Sie ignorierte ihre innere Stimme.
Sie musste die Läden schließen. Danach konnte sie an all das Ungewöhnliche denken, das sich ereignet hatte in der letzten Zeit. Sie konnte sich ihrer Angst und allen möglichen grauenhaften Vorstellungen hingeben, sowie sie sich in Sicherheit gebracht hatte. Im Augenblick durfte sie sich nicht paralysieren lassen.
Entschlossen öffnete sie die Tür. Das Schneetreiben war heftiger geworden. Schon lag eine dünne, weiße Decke über dem Gras im Garten.
Und über den Stufen, die von der Veranda hinunterführten.
Sie starrte die Stufen an.
Ihr Gehirn arbeitete so seltsam langsam. Fußabdrücke im Schnee. Dicke Profilsohlen. Jemand in klobigen Winterstiefeln war hier hinaufgestapft. Sie selbst war es nicht gewesen, sie hatte die Treppe den ganzen Tag über nicht benutzt. Mit Luke Palm war sie im Garten gewesen, aber sie waren von vorn um das Haus herumgegangen. Und der Schnee begann ja gerade erst, liegen zu bleiben.
Jemand musste vor Kurzem erst hier hinaufgekommen sein.
Irgendwann innerhalb der letzten zehn Minuten.
Ein Schatten löste sich von der Hauswand. Anne gewahrte ihn aus den Augenwinkeln. Fast zeitlupenartig, wie es ihr selbst vorkam, drehte sie sich um. Sie erkannte einen dicken Anorak, eine Strickmütze, die tief in die Stirn gezogen war.
Noch immer seltsam
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