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Beraubt: Roman

Beraubt: Roman

Titel: Beraubt: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Womersley Chris , Thomas Gunkel
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Andere sehen viel schlimmer aus. Ich habe … Glück gehabt.«
    Sie hustete und trank einen Schluck aus ihrem Wasserglas. »Es heißt, die Deutschen haben einen Mann an einem Schuppen gekreuzigt. Sie hätten … den Mädchen abscheuliche Dinge angetan.«
    Quinn erinnerte sich an den trüben Winternachmittag, an dem sich das Gerücht von der Kreuzigung in den Schützengräben verbreitet hatte.
    Seine Mutter sank wieder aufs Bett. »Anscheinend gewöhnt man sich an seinen Kummer, so schlimm er auch sein mag. Man kann nicht ewig weinen. Irgendwann gehen einem die Tränen aus. Ich würde alles tun, um Sarah zurückzubekommen. Alles.«
    Eine Weile sprach keiner von beiden ein Wort. Seine Mutter drehte sich um und spähte durch den Vorhang. An ihren Wimpern perlten wieder Tränen. Ihr Gram war offenbar noch nicht aufgebraucht.
    Schließlich wandte sie sich ihm zu, und ihr Mund kräuselte sich zu einem dünnen Lächeln, als wäre sie erst jetzt, nach zwanzig Minuten in seinem Beisein, bereit, wirklich zu glauben, dass er hier war. »Ach, Quinn. Du bist zurückgekehrt. Wider alle Hoffnung. Wie ich es in meinen Gebeten erfleht habe.«
    »Und glaubst du mir?«
    Sie überlegte, bevor sie antwortete. »Ich habe eigentlich nie geglaubt, dass du so etwas Schreckliches tun könntest. Mütter denken immer das Beste von ihren Kindern. Aber es fällt schwer zu glauben, dass überhaupt jemand so etwas tun könnte.« Und ihre Augen schlossen sich, ihr ganzes Gesicht versteinerte, abgesehen von dem kurzen Schluchzen, das sich ihrem halb geöffneten Mund entrang.
    Nach ein paar Minuten gewann sie die Fassung wieder. »Mein schöner Junge. Mein schönes Mädchen. Ihr wart wie Zwillinge. Wie sie dich rumkommandiert hat. Dich, ihren älteren Bruder. Du warst so ergeben . Warst ihr ein wunderbarer Bruder. Sie konnte bei dir alles erreichen. Erinnerst du dich noch an den Wettlauf, bei dem sie dich und William überredete, dass ihr euch als Feen oder so was verkleidet? Hat deinen Vater natürlich wahnsinnig gemacht.«
    Er lächelte erleichtert. Anscheinend war eine Grenze überschritten. Er wartete, während seine Mutter ihn wieder prüfend ansah, und kam sich vor wie ein Kind, das einer Bestrafung oder einer Liebesbezeugung entgegenblickt. Seine Mutter hustete und verzog vor Anstrengung das Gesicht.
    Als der Husten nachließ, wandte sie sich ihm zu und sagte in einer Stimme wie nasser Kiesel: »Komm näher. Ich will dich sehen. Hier drin ist es so dunkel.«
    Er beugte sich noch weiter vor, bis er den heißen Mechanismus des Fiebers in ihrem Körper arbeiten hörte. Seine Mutter stöberte in der Bettwäsche nach ihrem Taschentuch, in das sie wieder hineinhustete, diesmal mehrere Minuten lang. Der Anfall ermüdete sie, und als sie sich abwandte, sah Quinn, dass ihr Hals mit lila Flecken gesprenkelt war. Sie schloss die Augen und schlief ein.
    Gefühle wühlten in seinem Körper wie Mäuse. Er hätte nicht zurückkehren sollen. Er hätte früher kommen sollen. Er hätte nicht weggehen sollen. Seine Mutter hatte Fieber, und wenn sie irgendwem sagte, dass sie ihn gesehen habe, würde der das für eine Sinnestäuschung halten, die ihrer Krankheit geschuldet war. Mit einem feuchten Lappen wischte er seiner Mutter die Stirn ab. Dann schlich er sich davon.
    5 Nachdem er das Haus seines Vaters verlassen hatte, stapfte Quinn durch den Busch und blieb hier und da stehen, um sich neu zu orientieren oder sich an einem Felsvorsprung oder einem umgestürzten Baum vorbeizuhangeln. Er fühlte sich benommen von dem Gespräch mit seiner Mutter, doch wenigstens war jetzt seine Verzweiflung über ihren Zustand gelindert, weil sie an seine Unschuld glaubte. Allein deshalb hatte es sich gelohnt zurückzukehren. In der Nachmittagssonne begann sein Nacken allmählich zu brennen.
    Mit Bestürzung stellte er plötzlich fest, dass er sich am örtlichen Friedhof befand, der etwa drei Kilometer von Flint entfernt auf einem niedrigen Hügel lag. Am verrosteten Tor drehte er sich um und blickte auf die Stadt hinab. In der Ferne sah er die Kirchturmspitze und dahinter die blauen, im Dunst flimmernden Berge. Die Wärme stieg vom Boden auf, und in den umstehenden Bäumen lärmten Zikaden.
    Neben den älteren, maroden Gräbern mit ihren kariösen, halb versunkenen Grabsteinen gab es frische Erdhügel, jeder verziert mit frisch geschnittenen Blumen und sauberen Grabsteinen. Ginny Reynolds, Les McMahon . Alles Grippeopfer.
    Er hatte nicht vorgehabt, den Friedhof zu besuchen, fand

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