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Beraubt: Roman

Beraubt: Roman

Titel: Beraubt: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Womersley Chris , Thomas Gunkel
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dunklen Flur zum Schlafzimmer seiner Eltern. Diesmal war seine Mutter wach. Sie betrachtete ihn mit kühlem Hochmut.
    »Du ähnelst meinem Sohn«, sagte sie nach einer Weile, »aber ich bin mir ziemlich sicher, dass er nicht hierher zurückkehren würde.«
    Er blieb in der Tür stehen.
    Darauf folgte ein wachsames Schweigen, bis seine Mutter sich mit sichtlicher Mühe aufrichtete. »Dann komm mal her. Ich will dich anfassen, Junge.«
    Er schlurfte zum Bett und streckte den Arm aus.
    Seine Mutter stieß seine Hand mit dem Finger an. Sie schreckte zurück, als hätte sie sich verbrannt. »Also bist du kein Geist? Unglaublich. Aber kannst du auch sprechen?«
    Quinn berührte die narbige Seite seines Mundes. »Ja, kann ich«, sagte er und spürte die wässerige Aussprache des letzten Wortes, das in seinem Stacheldrahtmund hängen blieb.
    »Quinn. Bist du es wirklich?«
    »Ja, Mutter.«
    »Mein … Sohn?«
    Er hielt inne. »Ja.«
    »Aber man hat mir gesagt, du wärst tot. Ich habe es sogar schriftlich.«
    »Sie haben sich geirrt.«
    Sie dachte ein paar Sekunden darüber nach. »Was könntest du hier wollen?«
    »Ich bin gekommen, um dir was zu sagen.«
    »Was denn?«
    »Dass ich es nicht getan habe.«
    Sie wandte den Blick ab und flüsterte irgendwas, das er nicht verstehen konnte.
    »Ich war’s nicht«, beteuerte Quinn verzweifelt. »Ich schwöre es. Ich hab’s nicht getan.«
    Sie hustete, dann sah sie ihn wieder an, ihr Blick von unbändiger Wut erfüllt. »Du bist gekommen, um mir das jetzt zu sagen, nach zehn Jahren? Zehn Jahre, Quinn. Wo warst du die ganze Zeit? All die Jahre konnte ich an nichts anderes denken als an diesen Tag. Hast du gar nicht an uns gedacht – an mich?«
    »Doch, Mutter, natürlich.« Das stimmte. Nur selten war ein Tag verstrichen, an dem er nicht über seine Eltern nachgedacht oder sich seine eigene Rückkehr ausgemalt hatte, doch mit jedem weiteren Jahr fiel es ihm schwerer, sich vorzustellen, wieder in Flint zu sein. Selbst jetzt war es nur einer Laune der Geschichte zu verdanken, dass er hier stand. Sein neu entdeckter Mut entsprang reinem Zufall. Er dachte an die Tapferkeitsmedaille, die er ins Meer geworfen hatte. »Ich gehe zur Polizei und sage, dass ich’s nicht war.«
    »Aber was ist damals passiert, Quinn? Sag’s mir.«
    Er schüttelte den Kopf. Das Ganze war kaum zu ertragen. »Ich weiß es nicht genau«, log er. »Ich habe sie bloß dort gefunden.«
    Sie musterte sein Gesicht, um zu sehen, ob er die Wahrheit sagte. Dann drehte sie sich weg und hustete in ein Taschentuch, das sie in der verschwitzten Faust zusammengeknüllt hatte. »Natürlich habe ich nie geglaubt, dass du’s warst. Niemals. Mein Gott, so eine Untat. Du warst ein liebenswerter Junge. Aber ich sollte dich warnen – so denke nur ich.«
    Erst da merkte Quinn, dass er beim Warten auf diese Antwort den Atem angehalten hatte.
    Ein paar Minuten sagte keiner von beiden ein Wort.
    Sie sah ihn wieder an. »Man hat deine Personenbeschreibung an alle Polizeireviere geschickt. Sogar eine Belohnung wurde ausgelobt. Sie haben einen Fährtensucher auf dich angesetzt, aber das Unwetter hatte alle Spuren von dir verwischt. Du warst so« – sie suchte nach dem richtigen Wort – »gänzlich verschwunden. Ich habe um dich getrauert, Quinn. Robert und dein Vater haben allen erzählt, was sie gesehen …«
    Er schnellte nach vorn und fiel ihr ins Wort. »Was sie glauben, gesehen zu haben. Was haben sie dir genau erzählt?«
    Seine Mutter schloss die Augen. Er dachte, sie sei eingeschlafen, doch plötzlich schlug sie die Augen wieder auf. »Ich wollte nicht zu viel davon hören … Mein Bruder hat erzählt, dass du geweint hast und blutüberströmt warst. Er sagte, du hättest ein Messer in der Hand gehabt, Quinn, und du hättest schuldbewusst ausgesehen. Du bist getürmt. Ich habe gesehen, wie die Leute uns voller Mitleid angestarrt haben. Es gibt Dinge, die eine Mutter nicht wissen muss, aber diese Geschichte ist jetzt wie in Stein gemeißelt. Sie hat in Sydney in der Zeitung gestanden. Geschichten lassen sich nur schwer umschreiben, besonders nach so langer Zeit.«
    »Und da glaubt man lieber, ich hätte meine eigene Schwester ermordet?«
    »Schrecklich, es zugeben zu müssen, aber als sie mir sagten, du wärst im Krieg gefallen, war ich froh. Das hieß, dass diese furchtbare Geschichte vorbei war.« Sie betrachtete ihn, als befürchtete sie, er könnte jeden Moment gehen, dann schob sie das Laken zur Seite und versuchte, sich

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