Beraubt: Roman
Morgendämmerung war es noch zu früh. Wir sahen auf unseren Karten nach. Dann hörten wir es mehrmals dumpf knallen, pock, pock, pock . Plötzlich roch es ganz seltsam – der Geruch kam uns fast bekannt vor –, ein bisschen wie nasses Heu. Ich erinnere mich, wie ein Mann auf die Knie sank, um zu beten. Andere taten es ihm nach. Und auf einmal knieten ganz viele Männer im Nebel, und es sah aus, als wären ihre Beine bis zu den Knien im Schlamm versunken.«
Er wischte seiner Mutter die heiße Stirn ab. »Gas. Wir wurden mit Gas beschossen. Wir gingen auf alle viere und machten uns klein, wie man’s uns beigebracht hatte, aber ein paar Männer gerieten in Panik und bekamen die Masken nicht vors Gesicht. Die lassen sich nicht immer leicht aufsetzen. Die Hände zittern, und der Riemen verfängt sich irgendwo. Und natürlich war es dunkel. Einige atmeten das Gas ein und mussten den Rest des Weges durch die Nacht geschleppt werden, in die Schlacht.«
Als sie weitermarschiert waren, hatte das Gas in den Straßengräben gewabert und sie eingehüllt. Sie hatten auf einen weiteren, lauteren Angriff gewartet, der aber nicht kam. Einige warfen sich auf den Boden und mussten überredet werden, wieder aufzustehen, so begierig waren sie, sich in der Erde zu verbergen. Quinns eigener Atem klang in seinen Ohren heiß, laut und nah, als wäre er durch die Maske, den Augenschutz, die Schläuche und Klammern in eine gruselige Maschine verwandelt worden. Sie marschierten weiter durch den giftigen Dunst, und wer großspurig gewesen war, wurde ernst.
Ringsum war alles mit kaputten Ausrüstungsgegenständen übersät, mit leeren Munitionsschachteln, Uniformfetzen, Büchern, Trümmern. Er sah eine große Wanduhr. Fahrradräder und Autoreifen. Die reglosen Körper von Toten. Geschirr, Holzkisten. Hier und da flog Papier umher. Eine Ansammlung schlammverschmierter Stiefel, Dutzende von schmutzigen Tragen. Ein Offizier saß im Schneidersitz auf einem Tisch und beobachtete, wie sie vorbeistapften, und obwohl er eine Gasmaske trug, sah man den Ausdruck grimmigen Spotts in seinem Gesicht, während er den Finger über seine Kehle zog. Zwei Stühle, Helme und Mützen, Rindfleischdosen, Bäume, die sich kahl und zersplittert vor dem fahlen Himmel abzeichneten.
Nach einer Weile merkte Quinn, dass irgendwas unter seinen Stiefeln knirschte. Als er sich hinhockte, um es zu untersuchen, stellte er fest, dass er über kleine Vögel marschiert war, die tot von den Bäumen gefallen waren. Ihre Körper waren prall und steif. Sie waren so groß wie das Herz eines Kindes, und er trug einen davon, warum auch immer, in der Hand durch die lange Nacht, bis sie im Morgengrauen zu einem Feld kamen, auf dem er sich niederlegte und schlief. Als er Stunden später erwachte, hielt er den Vogel immer noch in der Hand. Die roten Federn wehten im Wind. Die Zunge des Vogels sah aus wie eine Schrotkugel. Ein Pfarrer ging zwischen den hustenden, ächzenden Männern hindurch, zwischen jungen Leuten, die jäh gealtert waren. Er versicherte ihnen, Gott stehe ihnen in ihrem Kampf bei. Jemand weinte, und ein anderer schrie immerzu, bis er weggebracht wurde.
Quinn und seine Mutter saßen ein paar Minuten schweigend da. »Tut mir leid«, sagte er, »ich hätte dir das nicht erzählen sollen. Du brauchst nichts davon zu wissen.« Er kam sich dumm vor und schämte sich.
Sie wischte seine Sorge beiseite. »Wenn ich dich recht verstehe, hast du Rotkäppchen also nicht gesehen? Oder den verdammten Wolf?«
Er grinste. »Nein. Das sind bloß Geschichten, Mutter.«
»Geschichten sind nur selten bloß Geschichten«, rügte sie ihn.
Er erzählte ihr von der Schlacht um das Dorf Pozières, alles, woran er sich noch erinnern konnte (wie sich eine blaue Leuchtrakete zur Erde zurückschlängelte, das Grollen und Kreischen der Artillerie), bevor eine Granate neben ihm explodiert war und ihn zu Boden geworfen hatte. Vielleicht war das der Vorfall, der die falsche Nachricht von seinem Tod ausgelöst hatte. In den folgenden Wochen und Monaten waren noch schlimmere Dinge geschehen, aber davon erzählte er seiner Mutter nichts. Es gab keine Worte, die das Grauen zum Ausdruck brachten, das er im Krieg erlebt hatte, nein, um es zu beschreiben, waren vielmehr alle Wörter der Sprache vonnöten, alle zugleich, bis keins von ihnen mehr einen Sinn ergab.
Plötzlich fiel Quinn etwas ein. »Mutter? Kannst du dich an eine Familie namens Fox erinnern, die hier in der Gegend gewohnt hat?«
Mary
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