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Beraubt: Roman

Beraubt: Roman

Titel: Beraubt: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Womersley Chris , Thomas Gunkel
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den herabhängenden Zweigen einer Weide. Das Ufer war schlammig, und schon bald war sein Hosenboden ganz nass. Als Sarah auf Oliver Sharps fünfzig Meter entfernte Hütte aus Rinde und Decken zeigte, wurde Quinn unruhig. Sie erzählte, Mr. Sharp habe unter einem Baum einen Sack mit fünfzig Pfund vergraben.
    »Er bricht schon in aller Frühe zu seinem Claim in der Nähe von Sparrowhawk auf«, sagte Sarah. »Wahrscheinlich sind es sogar mehr als fünfzig Pfund. Stell dir das mal vor.«
    »Woher weißt du das?«
    »Ich weiß es einfach.«
    Die Sache gefiel Quinn nicht. Seine Schwester klang oft dann besonders gebieterisch, wenn ihre Informationen am unzuverlässigsten waren.
    »Mutter hat bald Geburtstag, und da dachte ich, wir könnten uns einen Teil von Mr. Sharps Geld nehmen und ihr etwas kaufen. Nur zwei Pfund«, zischte sie, um Quinns Einwände beiseitezuwischen. »So viel, dass es für ein Halstuch im Laden reicht.«
    »Das können wir nicht machen. Stehlen ist unrecht.«
    Doch Sarah war zu einem nahegelegenen Busch geschlurft und hatte einen Spaten hervorgeholt, den sie ihm reichte. »Hier. Nimm den. Und jetzt los. Das erfährt schon niemand.«
    Er sah, dass es der Spaten seines Vaters war. »Wie kommt der denn hierher?«
    »Ich hab ihn gestern Abend dort hingelegt. Man muss so was planen, Quinn. Und jetzt …«
    Plötzlich hatte sie gleichzeitig Augen und Mund weit aufgerissen, wie eine Marionette. Quinn hatte nur selten erlebt, dass Sarah Angst zeigte. Noch immer dahockend, hatte er sich umgedreht und Mr. Sharp mit einer Hacke über der Schulter vor ihnen stehen sehen, seine wässrigen Augen zu einem verbitterten Blinzeln zusammengekniffen. Sarah hatte geschrien, hatte am schmierigen Ufer den Halt verloren und war – mit fuchtelnden Armen, nach einem Weidenzweig greifend, der in ihrer Hand abbrach – rückwärts in den Fluss gestürzt.
    Als sie später am Morgen in Begleitung von Konstabler Mackey beklommen nach Hause kamen, war ihr Vater sehr wütend auf Quinn. Der Vorfall war in Flint ein kleiner Skandal gewesen, doch Sarah war einfallsreich und hatte das Erlebnis innerhalb weniger Tage in die Geschichte einer tollkühnen Tat verwandelt, so schaurig, dass man dafür einen Penny verlangen konnte. Auf ihrer Obstkiste stehend, hatte sie die Kinder in der Schule mit dem Bericht über ihre knappe Flucht vor dem alten Mr. Sharp begeistert, der inzwischen einen Buckel und Krallen besaß und – statt ihr netterweise aus dem Fluss zu helfen, wie es der Wahrheit entsprach – versucht hatte, ihr mit seiner Hacke den Schädel zu spalten.
    Quinn schlug die Augen auf. Er war verwirrt. Es kam ihm vor, als wäre seine Schwester wieder bei ihnen; er und seine Eltern hatten sie mit ihrer vereinten Vorstellungskraft heraufbeschworen. An dem betretenen Schweigen erkannte er, dass auch seine Eltern es gespürt hatten. Doch es hielt nur ein paar Sekunden an. Dann war sie wieder verschwunden.
    »An jenem Tag hat es in Strömen geregnet«, fuhr sein Vater mit seiner Schilderung fort. »Donner und alles. Jenny konnte Donner nicht ausstehen. Ich habe überall im Ort gefragt. Niemand hatte Sarah gesehen, aber dann begegnete ich Jim Gracie, und er sagte, er hätte die beiden auf Wilson’s Point gesehen. Gracie schien selbst Angst vor dem Gewitter zu haben.«
    »Siehst du, das ist seltsam«, unterbrach ihn Mary. »Die Kinder haben nicht mehr da unten gespielt, nachdem dort ’ 07 die Tochter der Gunns ertrunken ist. Und dieses andere Mädchen – weißt du noch? –, kurz nachdem wir hergezogen sind. Sarah konnte Wilson’s Point nicht ausstehen.«
    »Tja, der Junge hat sie wohl hingeschleift. Warum glaubst du mir nicht? Bezweifelst du, was ich mit eigenen Augen gesehen habe? Ich wünschte genau wie du, nichts davon wäre passiert. Mein Gott, so einen Sohn zu haben.«
    »Glaubst du wirklich, dass er es war?«
    »Ich hab es gesehen.«
    »Aber du hast nicht gesehen … wie er es getan hat?«
    »Deine Liebe zu dem Jungen macht dich blind.«
    »Hast du gesehen, wie er es getan hat, Nathaniel? Das ist wichtig.«
    Quinns Vater atmete hörbar aus. »Nein.«
    Erschöpft schloss Mary die Augen, abgehärmt von ihren Zwillingslastern des Betens und der Hoffnungslosigkeit.
    »Aber du hast sie doch zusammen gesehen, Mary. Du hast gesehen, wie sie …«
    »Sie waren Geschwister.«
    »… sich immer versteckten, zusammen spielten. Wie sie unterm Haus verschwanden. Weißt du, wie man sie drüben im Mail genannt hat, weil sie so oft zusammen waren?

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