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Beraubt: Roman

Beraubt: Roman

Titel: Beraubt: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Womersley Chris , Thomas Gunkel
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bestellt habe, wie auch immer das verdammte Zeug heiße, sei noch nicht da, müsse aber bald kommen. Alles dauere so verdammt lange.
    Nach ein paar Minuten beruhigte er sich, und die beiden redeten stockend über etwas anderes, als hätten sie Angst, sich gegenseitig zu verletzen. Sie sprachen über die Hitze und das Treiben eines Gangsters in Melbourne. Er erzählte ihr das neueste Gerücht über die Epidemie: Joe Ryan behaupte, gehört zu haben, dass es in Wirklichkeit Scharlach sei. Mary machte eine verächtliche Bemerkung.
    Der Schrank, an dem Quinn kauerte, roch nach Politur und war klebrig, als würde er die Lackschichten ausschwitzen, die man im Lauf der Jahre aufgetragen hatte. Draußen knarrte und schepperte ein Tor im heißen Wind, knarrte und schepperte. Er hörte, wie sich sein Vater die Pfeife ploppend auf die Hand schlug, um den verkohlten Tabak loszubekommen. Obwohl Quinn ihn nicht deutlich sehen konnte, wusste er, dass sich sein Vater jetzt vorbeugte, den Blick in die Ferne gerichtet, dass er die Pfeife stopfte und währenddessen vermutlich an seinem Schnurrbart kaute. Trotz seines hitzigen Temperaments war Nathaniel Walker ein Mensch, der sich nur ungern stritt, und das Ritual, den Tabak aus der Dose zu zupfen, ihn festzustopfen und dann nach einem Streichholz zu suchen, hatte immer geholfen, einem lästigen Gesprächspartner auszuweichen. Quinn roch den angenehm süßen Duft brennenden Tabaks. Sein Vater faselte unzusammenhängendes Zeug.
    Marys Lider hingen herab wie zwei vom Tau gebeugte Blumen, und ihr verstörter Blick glitt durchs Zimmer und fiel, als wäre es mit Widerstreben, auf Quinn. Ihre Haut glänzte vom Fieber. »Erzähl mir«, sagte sie, ohne den Blick von ihrem Sohn zu wenden, »was genau hast du damals gesehen, Nathaniel?«
    »Was?« Nathaniel rutschte auf seinem Stuhl vor.
    Mary leckte sich die Lippen. »Was hast du gesehen?«
    »Wann denn, Mary?«
    »An dem Tag, an dem du Sarah gefunden hast.«
    Von da, wo er stand, konnte Quinn nicht nur seine Mutter flach auf dem Rücken liegen sehen wie in einem Leichenboot, sondern er sah auch den gespenstischen Schatten seines Vaters hinter dem Vorhang. Er bekam panische Angst. Er fragte sich, ob ihm seine Mutter eine Falle gestellt hatte. Hatte sie das die ganze Zeit geplant? Er schüttelte den Kopf, um ihr zu bedeuten, dass sie nicht weiterfragen sollte.
    Nathaniel knurrte vor sich hin. »Herrgott. Bisher wolltest du doch nichts Näheres wissen, Mary. Warum jetzt?«
    »Vielleicht ist es Zeit.«
    Sein Vater murmelte irgendwas, doch Mary wiederholte, dass sie hören wolle, was genau vor all den Jahren passiert sei.
    Quinn schloss die Augen. Auf dem Transportschiff, das sie nach dem Krieg nach Australien zurückgebracht hatte, hatten sich Männer befunden, die blind und taub geworden waren. Er hatte sie hilflos auf den von der Gischt glatten Decks der Argyllshire umherschlurfen sehen. Sie waren geschlossene Gefäße, dick verbunden, von der Welt abgeschnitten, jeder in seiner eigenen Landschaft lebend, einem Meer zugewandt, das sie weder sehen noch hören konnten. Für sie war alles schwarz und lautlos. Unter ihnen befand sich ein einfacher Soldat, der Little Thommo genannt wurde und sich immer gegen die Reling drückte, als wollte er ausprobieren, ob sie seinem Gewicht standhielt. Er hatte, wie zu erwarten, zu denen gehört, die bald über Bord gegangen waren. Quinn hatte diese Männer voller Angst und Neid beobachtet. Was für eine schreckliche Freiheit, dachte er, von der Härte des Lebens abgeschottet zu sein.
    Wie ein Kind, das nicht entdeckt werden wollte, hielt er die Augen geschlossen. Durch seine Schwerhörigkeit hindurch nahm er wahr, dass der Vorhang im heißen Wind flatterte. Er war überzeugt, dass das heftige Pochen seines Herzens noch mehrere Meter entfernt zu hören war, und legte die Hand auf die Brust, als wäre es ein ungebärdiges Tier, das er mit einer Berührung beruhigen konnte. Den Blick seiner Mutter spürte er immer noch auf sich.
    »Das ist schon so lange her«, sagte sein Vater schließlich.
    »Aber du warst dir damals so sicher …«
    »Bin ich immer noch.«
    »Dann erzähl’s mir.«
    Quinns Vater rülpste. »Ich würde lieber drauf verzichten. Du bist krank, und es ist schon so viele Jahre her.«
    »Empfindest du es so, Nathaniel? Wirklich? Ich hab das Gefühl, als wären beide, nein alle, noch hier bei mir. Sarah und William und Quinn. Als würden alle im Haus herumlaufen, als würden sie in mein Zimmer kommen,

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