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Beraubt: Roman

Beraubt: Roman

Titel: Beraubt: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Womersley Chris , Thomas Gunkel
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Weißt du das überhaupt? Romeo und Julia. Romeo und Julia.«
    »Sei kein Narr. So hast nur du sie genannt.«
    »Nein! Dein Bruder auch. Das hat er mir später gesagt. Er sagte, es wäre die ganze Zeit klar gewesen, wie die Sache ausgehen würde.«
    Mary hustete lange und heftig. »Das ist doch Unsinn. So was würde Robert nie sagen. Er hat das Mädchen genauso geliebt wie wir.«
    In dem heißen Zimmer breitete sich Schweigen aus. Er hat das Mädchen genauso geliebt wie wir . Quinns Knie begannen zu zittern. Am liebsten hätte er sich am Schrank zu Boden gleiten lassen, befürchtete aber, sein Vater könnte es mitbekommen. Der Drang war nahezu unwiderstehlich, doch er blieb stehen, die Schultern schlaff wie bei einem Erhängten. Er fragte sich, ob Gott in sein gebrochenes Herz blicken konnte.
    »Jedenfalls«, fuhr sein Vater fort, »war William bei dir zu Hause, weil er Fieber hatte. Ich band Jenny am Schilf fest und ging die flache Uferböschung entlang. Der See hatte Hochwasser. Ich war nass bis auf die Haut. Und ich ging zu dem alten Schuppen, und der Junge war da und … Er hielt das Messer in den Händen, und Sarah lag auf dem Boden, und er sah mich mit schrecklichem Gesichtsausdruck an.« Nathaniel zündete die Pfeife wieder an. »Mary? Lass uns aufhören. Bitte. Es ist besser so. Wir haben so lange gebraucht, um es zu vergessen. Lassen wir die Vergangenheit ruhen.«
    Mary rang nach Luft. Ihre Finger betasteten ihr Bettzeug. »Aber sie lässt uns nicht ruhen, Nathaniel. Lässt mich nicht ruhen.«
    Quinns Vater stand von seinem Stuhl auf und kam ans Fenster. »Alles in Ordnung mit dir? Herrgott noch mal!«
    Quinn zog sich tiefer in den Schatten zurück.
    »Bleib vom Fenster weg«, sagte Mary. »Bitte. Sonst steckst du dich noch an. Bleib weg.«
    Nathaniel wankte zurück. Er ließ die Pfeife fallen und bückte sich fluchend, um sie wieder aufzuheben.
    »Und dann, Nathaniel?«
    Quinns Vater seufzte verzweifelt. Mit schwerem Schritt ging er auf der Veranda auf und ab. »Der Junge sagte kein Wort, aber er sah aus, als hätte er was Schreckliches erfahren. Er war blass und voller Blut. Und dann kam dein Bruder dazu und sagte irgendwas, und der Junge schüttelte den Kopf, warf das Messer weg und rannte davon. Er sagte nichts, sondern rannte los, Mary. Herrgott, er rannte wie ein verdammtes Kaninchen.«

DRITTER TEIL
    Die Höhle
der Hände

17 Am nächsten Tag musterte Quinn seine schlafende Mutter eine Weile. Sie ähnelte bereits einem Geschöpf, das nicht mehr von dieser Welt war, als hätte sie sich in der Nacht weitgehend zurückgezogen wie das Meer bei Ebbe. Ihr Gesicht schien geschrumpft zu sein, und an ihrer Oberlippe klebten Spritzer von getrocknetem Blut. Nach ein paar Minuten schlug sie die Augen auf und murmelte: »Quinn. Erzähl mir, was du gesehen hast. An jenem Tag.«
    »Ich hab nichts gesehen, Mutter.«
    »Du hast gehört, was mir dein Vater erzählt hat. Gestern oder wann das war. Warst du hier?«
    »Ja.«
    »Warum bist du damals davongerannt?«
    Er wischte ihr mit einem feuchten Waschlappen die Stirn ab. »Keine Ahnung. Ich hatte Angst.«
    »Aber wo bist du hin?«
    Quinn spielte mit dem Lappen in seinen Händen. »Ich bin irgendwann aufgewacht, Mutter. Ich weiß nicht, wie lange ich da schon von hier weg war, vielleicht zwei Wochen? So lange, dass sich die anfängliche Angst gelegt hatte, aber nicht lange genug, um planen zu können, was zu tun war. Weil ich oft hingefallen bin und auf dem Boden geschlafen habe, hatte ich überall Schnittwunden. Mein Rücken war mit schmerzhaften blauen Flecken übersät. Ich dachte, ich würde wahrscheinlich da draußen sterben, aber weißt du, der Gedanke beunruhigte mich gar nicht besonders. Der Tod war nicht furchterregend. Ich fragte mich, wie ich ohne Sarah weiterleben sollte, wie ich nach allem, was ihr zugestoßen war, weiterleben sollte. Ich wusste nicht mal, dass irgendwer glaubte, ich wär’s gewesen. Das war zu grässlich. Davon erfuhr ich erst später.
    Ich weiß nicht, was ich getan habe. Ich habe in den Himmel gestarrt, darauf gewartet, dass die Sterne herabstürzen. Die Zeit verstreicht, unabhängig von Uhren. Ich habe auf Felsen geschlafen. Ich habe beobachtet, wie die Wolken auseinanderrissen und hoch oben eine neue Gestalt annahmen. Eine finster dreinblickende Katze, rollender Nebel, einmal eine fahle Pferdeherde, die sich über den Himmel bauschte. Die Welt war mir noch nie so riesig vorgekommen. Ich war an dieses Haus gewöhnt. An Flint. Ich hatte

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