Bereue - Psychothriller (German Edition)
Ferne.
“Finca Winterberg”, meldete sich eine fröhliche weibliche Stimme. Annelies Mutter. Zwanzig Jahre hatte er die Frau nicht mehr gesehen. Er sah eine kleine rundliche Frau vor sich, Lachfältchen um die Augen. Eine Mutter, wie er sie sich gewünscht hätte.
“Frau Winterberg. Hier ist Ben Biller. Ich weiß nicht, ob Sie sich an mich erinnern.” Er räusperte sich und lauschte.
Sekundenlanges Rauschen. “Was ist mit Annelie?” Die Stimme klang gepresst.
Wie sollte er es ihr nur schonend beibringen. “Sie liegt im Krankenhaus. Sie mussten sie wiederbeleben. Ich weiß nicht, ob sie Schäden davon tragen wird”, stammelte er und verstummte. Der ganze Wahnsinn schwappte wieder durch seinen Kopf.
“Wir kommen so schnell es geht. Holen Sie uns vom Flughafen ab?”
Sie fragte nicht, was passiert war. Sie musste von einem Unfall ausgehen. Er schluckte das hinunter, was er hatte sagen wollen. Das hatte Zeit. “Sagen Sie mir Bescheid, wenn Sie wissen, wann Sie landen.”
“Wir werden es heute nicht mehr schaffen.”
“Dann Morgen?”
Mit dem Zeigefinger fuhr er unter den Hemdkragen, zog am Krawattenknoten. Wie ungewohnt es war, wieder seine Arbeitskleidung zu tragen. Schwarzer Anzug, weißes Hemd, schwarze Krawatte. Richard hatte ihm das Geld dafür geliehen.
Das Bürogebäude der Vita Canin GmbH ruhte an diesem Samstag Vormittag. Über das Wochenende waren die Büros nicht besetzt, nur Rikowski wartete im vierten Stock auf ihn. Gestern Nachmittag hatte er sich bei Ben gemeldet und ihn hierher zitiert. Wie immer hatte er nicht viele Worte gemacht. Die Polizei hätte ihn informiert.
Die Sonne brannte Ben auf den Rücken, er spürte den Schweiß aus den Poren sickern. Eilig drückte er die Klingel und sah in Richtung der Kamera. Sekunden später summte der Türöffner. Die Eingangshalle erschien ihm riesig, als er sie durchquerte. Viel zu laut klangen seine Schritte.
Heute nahm er den Aufzug.
Sein ehemaliger Chef empfing ihn hinter seinem Schreibtisch sitzend. Er legte die Lesebrille beiseite und stand auf. “Herr Biller. Schön, dass Sie es so kurzfristig einrichten konnten. Ich kann mir vo rstellen, dass Sie im Moment eine schwere Zeit durchmachen.” Er wies auf die Titelseite der Zeitung, die auf dem Tisch lag.
Ben hatte den Artikel bereits gelesen. Er enthielt nur das, was die Polizei an die Presse weiter gegeben hatte. Wahnsinniger Serientäter erschüttert München titelte das Blatt.
Ben schüttelte die dargereichte Hand. “Sie wollten mich sprechen?”
Rikowski wies auf die Sitzecke am Fenster. “Setzen Sie sich. Leider kann ich Ihnen heute keinen Kaffee anbieten. Vielleicht etwas Kaltes?”
Ben ließ sich nieder. “Danke. Für mich nichts.”
Rikowski setzte sich ihm gegenüber und musterte ihn mit gerunzelter Stirn. “Man hat Sie übel zu gerichtet.” Der Blick der grauen Augen war stumpf. “Erschreckend, zu was Menschen fähig sind.”
Ben wusste nicht, ob er die Situation im Allgemeinen meinte oder sein zerschundenes Gesicht im Besonderen. Also nickte er nur und wartete ab, die verschränkten Hände im Schoß.
“Herr Biller. Ich muss mich bei Ihnen entschuldigen. Keinen Moment habe ich versucht, Ihnen die Möglichkeit zu geben sich zu erklären. Wie konnte ich so etwas ahnen. Aber mir hätte klar sein müssen, dass Sie niemals Firmengelder an katholische Einrichtungen spenden würden.”
Genau das war es, was Ben nicht hatte verstehen können. Rikowski wusste doch, dass er mit der Kirche nichts am Hut hatte. Aber nun brauchte er es ihm nicht mehr vorzuwerfen. “Schon gut. Wie sollten Sie auch von einer derart teuflischen Hetzjagd ausgehen.”
Langsam nickte Rikowski. Die Haut neben seinen Mundwinkeln kräuselte sich für einen Moment. “Gut. Ich möchte Ihnen anbieten, die Aufhebung Ihres Vertrages wieder rückgängig zu machen. Ohne Sie läuft die Firma nicht so, wie ich es mir wünsche. Einen besseren Geschäftsführer kann ich mir nicht vorstellen.”
Wieder hier arbeiten, so als wäre nichts geschehen. Unvorstellbar. Die Probleme, die der Arbeitsalltag mit sich brachte, erschienen ihm jetzt nichtig. Wie hatte all das jemals sein Lebensmittelpunkt, sein Daseinszweck sein können. Aber er brauchte Geld, wenn er die Nase wieder über Wasser bekommen wollte. “Ich werde keine sechzig Stunden mehr in der Woche arbeiten. Keine Wochenendtermine mehr, keine nach achtzehn Uhr. Und ich werde noch einige Tage Auszeit brauchen.”
Er musste an Rikowskis Interview
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