Bereue - Psychothriller (German Edition)
hatte sein Verdauungssystem gehörig durche inandergebracht. So wie Annelie den Rest von ihm. Kein Mensch konnte lebenswichtige Entscheidungen treffen mit einem Bauch voller Kaffee und sonst nichts. Also erst frühstücken und dann nachdenken.
Gegen Mittag spazierte er durch den Englischen Garten. Neidisch beobachtete er die vielen glücklichen Leute. Eine Horde Studenten, die lernend und lachend im Gras lag, eng umschlungene Pärchen, die keine Augen für den Rest der Welt hatten.
Drei Frauen im mittleren Alter kamen ihm entgegen. Sie stocherten mit Walkingstöcken eifrig im Boden herum und schnatterten. In weitem Bogen gingen sie um ihn herum, musterten ihn misstrauisch. Ihr Gespräch verstummte, bis er an ihnen vorbei war. “Das ist doch dieser Biller”, zischte eine hinter ihm. “Ha. Endlich hat es mal einen von denen erwischt.”
Er war also einer von denen, stellte Ben mit Erschrecken fest. War er das, oder war er ein ganz anderer? Die Hände in den Hosentaschen vergraben, den Kopf gesenkt ging er weiter. Ein Stock flog an seinem Ohr vorbei. Er zuckte zusammen. Bewarf man ihn jetzt schon mit Dreck?
Ein Hund jagte mit fliegenden Ohren auf ihn zu. Der Rottweiler hechelte im Laufen, kam immer näher. Ohne Ben zu beachten, jagte er an ihm vorbei.
Wütend auf sich selbst ging er weiter. Ließ er sich jetzt etwa schon von gelangweilten Hausfrauen und spielenden Hunden erschrecken. Von wegen Kämpfer, er war ein verdammtes Weichei.
“Hey, magst einen Schluck?”, fragte ihn jemand von der Seite. Auf der Bank saß ein älterer Mann in einem verknautschten Mantel und streckte ihm eine Flasche entgegen. “Du schaust aus, als ob du was brauchen kannst.”
Ben blieb stehen. Die halb volle Weinflasche wackelte in der knotigen Hand. Zwischen den grauen Knäueln, die das Gesicht des Mannes bevölkerten, blitzten ein paar Zähne hervor. Aber nur ein paar wenige. Zwei vollgestopfte Plastiktüten lagen zwischen seinen Füßen.
“Danke.” Ben nahm die Flasche und setzte sich neben den Obdachlosen. Er wischte den Flaschenhals mit seinem schmuddligen Hemdsärmel ab und trank einen kleinen Schluck. Der billige Wein kratzte in seinem Hals. Am liebsten hätte er ihn wieder ausgespuckt, aber er wollte den Mann nicht beleidigen. “Danke, aber das ist nichts für mich.”
Das Grinsen des Anderen wurde breiter, als er die Flasche entg egennahm und seinerseits trank. “Das hab ich auch mal gedacht. Du bist noch nicht so lange auf der Straße, was?” Mit einer ausholenden Kopfbewegung umriss er Bens verwahrloste Gestalt.
“Seit zwei Tagen.” Die Arme vor der Brust verschränkt lehnte er sich zurück und genoss die Wärme der Sonne auf seinem Gesicht. Kop fschüttelnd dachte er, wie sehr sich sein Leben verändert hatte. Vor zwei Tagen wäre im Traum nicht auf die Idee gekommen, sich neben einen stinkenden Penner zu setzen und auch noch aus seiner Weinflasche zu trinken.
Heute war er selbst ein stinkender Penner. Was kostete ein Waschgang im Waschsalon? Aber seine edle Anzughose würde das nicht überleben, genauso das Sakko. Wie unpraktisch diese Klamotten waren. Er stellte sich vor, wie er nackt im Waschsalon saß und der Maschine beim Waschen zu sah. Zumindest ein frisches Hemd sollte er sich in einem S econdhand-Shop kaufen.
“Was is denn los mit dir?”, fragte sein neuer Freund und fuchtelte mit einem schmutzigen Finger vor seinem Gesicht herum.
“Da ist jemand, der hetzt mich in den Tod”, fasste er seine Geschichte mit erstaunlich gelassener Stimme zusammen.
Der Sandler riss die wässrigen Augen auf. “Na! Gibt‘s sowas auch. Ja warum denn nur? Hast du ihm was getan?”
Das war die große Frage. “Ich weiß nicht, wer es ist und was ich ihm getan hab.” Den Kopf in die Hände gestützt starrte er vor sich hin. So viele Menschen hatten in den letzten Jahren seinen Weg gekreuzt.
Sein Banknachbar schlug ihm auf die Schulter. “Lass dir das nicht gefallen. Hast du ein Mädel?”
Sofort musste Ben an Annelie denken. “Das tät’s schon geben.” Er schüttelte den Kopf. “Aber die mag mich nicht mehr. Schon lange nicht mehr.”
Mit der Weinflasche fuhrwerkte der Penner in der Luft herum, beinahe schwappte der Inhalt über. “Ein Mann kann alles verlieren, das ist nicht so wild. Er darf sich aber erst aufgeben, wenn‘s keinen Menschen mehr gibt, der ihm wichtig ist.”
Nach dieser Logik durfte er sich also nicht aufgeben. Annelie war wichtig für ihn, ob er wollte oder nicht. “Hast du so
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