Bereue - Psychothriller (German Edition)
gekommen. “Danke, Richard.”
“Geh damit zur Polizei. Die sollen ihn durchleuchten. Vielleicht bin ich auch auf dem völlig falschen Dampfer.”
Ben nickte nur und stand auf. Von Richard gefolgt verließ er das Haus. An der Tür rief ihn Richard zurück. “Warte.”
Ben stieg die drei Stufen wieder hinauf und sah seinen Bruder an. “Was?”
Richard umarmte ihn. “Ich hab dich vermisst.”
“Und ich dich”, erwiderte Ben mit tonloser Stimme und legte seine Arme um ihn.
Zurück im Auto starrte er minutenlang durch die mit Fliegen besprenkelte Windschutzscheibe in die abendliche Welt. Nun konnte nichts mehr seine Tränen aufhalten. Wie dankbar war er Richard, dass er bereit war, ihm die Hand über den Abgrund hinweg zu reichen. Er spürte noch die Körperwärme seines Bruders. Mit Wucht traf ihn die Erkenntnis, wie sehr er zwischenmenschliche Nähe vermisst hatte. Er öffnete das Handschuhfach und holte Luckys Foto heraus. Statt sich um die Menschen in seinem Leben zu kümmern, hatte er sich auf einen Hund fixiert. “Du fehlst mir trotzdem”, flüsterte er und verstaute das Bild wieder. Das Buch seiner Mutter blitzte ihm entgegen. “Nein, das nicht”, knurrte er und knallte die Klappe zu. Seine Eltern waren eine andere Hausnummer. Dass er sie jemals so akzeptieren würde, wie sie waren, konnte er sich nicht vorstellen. Aber das war jetzt nicht das Problem. Er sah auf die Uhr. In sechzehn Stunden war er vielleicht schon tot.
Aber bis dahin würde er kämpfen. Er zog das iPhone aus der Tasche und ging ins Internet. Es gab nur eine Maria Tuschonsky im Münchner Telefonbuch. Keinen Jakob. Sie könnte eine Verwandte sein. Seine Mutter oder seine Frau.
Er gab das Ziel im Navigationsgerät ein und startete den Wagen. Oder doch zur Polizei? Berglehner würde ihn auslachen, wenn er ihm mit dieser ollen Kamelle aus der Teeniezeit kam. Darauf konnte er verzichten. Und so wirklich wollte er selbst nicht glauben, dass hinter dem ganzen Wahnsinn der verklemmte Speckie stecken sollte.
42
Mit seinen fleckigen Händen schraubte er den Deckel von der Wa sserflasche und setzte sie an ihre Lippen.
Gierig trank sie das lauwarme Wasser. Ein Rinnsal lief über ihr Kinn, ihren Hals hinunter in ihren Ausschnitt.
Sie hatte kaum zwei Mundvoll getrunken, da nahm er die Flasche weg.
“Gib mir noch was”, flehte sie.
“Später.”
“Bitte. Was willst du?”
“Sollst begreifen warum”, murmelte er auf seine nervige Art und verschloss die Flasche.
Annelies Gedanken rotierten. Ihre Schultern und Arme schmerzten von der starren Haltung, das Seil schnitt in die Haut ihrer Handgelenke.
Ja, sie wollte begreifen, was das alles sollte. Warum er ihr das antat. “Hat es mit Ben zu tun?”, fragte sie leise und sah zu ihm hoch.
Mit verschränkten Armen stand er vor ihr, das Licht der Petrol eumlampe fiel von unten auf sein Gesicht und zeichnete harte Schatten darauf. An seinem rechten Augenlid zuckte es. Er merkte es und rieb darüber. “Muss büßen.”
“Ben? Aber warum? Er hat dir doch nie etwas getan.”
Mit der Hand fuhr er unter die Kappe und kratzte sich am Kopf. Ruckartig riss er die Hand wieder herunter und deutete auf sie. “Weggenommen.”
Oh mein Gott. Was hatte sie nur getan. Natürlich war ihr nicht entgangen, dass Jakob sich in sie verknallt hatte auf seine schüchterne, hungrige Art. Und sie hatte sich auch noch ausgerechnet ihn ausgesucht für ihre ersten Kussexperimente. Beschämt senkte sie den Kopf. Sie hatte ihn längst vergessen. Er sie nicht. All die Jahre nicht.
Verzweifelt versuchte sie sich zu erinnern, ob sie mit ihm noch Kontakt gehabt hatte, nachdem sie mit Ben zusammengekommen war. Sie wusste es nicht mehr. “Jakob, es tut mir leid. Ich wollte keine Hoffnungen in dir wecken. Und Ben kann nichts dafür. Wir waren verliebt.”
“Gedemütigt”, stieß er hervor.
Wer hatte ihn gedemütigt? Ben oder sie? “Bitte lass Ben endlich in Ruhe. Das ist eine Sache zwischen uns beiden.”
“Muss bereuen. Weiß, was er zu tun hat bis Mittag. Sonst.” Er redete nicht weiter.
Hatte sie sein Gestammel richtig verstanden? Ben sollte sich bis morgen Mittag umbringen, um sie zu retten. Dafür hatte er ihren Kettenanhänger gebraucht. Tränen liefen über ihr Gesicht, als sie ihren Kopf gegen die Wand lehnte. Er war verrückt. Aber wie verhandelte man mit einem Verrückten? “Was meinst du mit ‘Sonst’?”, flüsterte sie und presste ihre Augen zu.
“Bist die Nächste.”
Ihre
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