Bereue - Psychothriller (German Edition)
konnte ihr nichts recht machen. Wie oft schrubbte sie meine Hände mit der Ammoniaklösung, zog an meinen Ohren oder zerrte mich an den Haaren vor einen ihrer Altare zum Gebet. Wenn ich nicht sofort folgte, schlug sie mich. Nicht so fest, dass es ernsthafte Verletzungen gegeben hätte. Aber fest genug, dass es tagelang wehtat.
Dann kam die Zeit, da sich in mir etwas regte, wenn ich Mädchen oder Frauen sah. Ich blickte weg, wusste ich doch, dass es verboten war. Meine Stimme machte unkontrollierte Sprünge, sodass ich noch weniger sagte. Mutter hatte mir unreine Gedanken verboten. Doch wo sollte ich hin mit all diesen aufwühlenden Gedanken und Gefühlen. Sie kamen einfach, nahmen mich in Besitz.
Natürlich blieb das Mutter nicht verborgen. Als Verfehlung Gottes, als sündhaftes Balg beschimpfte sie mich. Wie viele Stunden habe ich auf kalten Fliesen gekniet und gebetet.
Richtig schlimm wurde meine Qual, als Annelie in meine Klasse kam. Ich sehe die Szene noch vor mir. Wir anderen saßen auf unseren Plätzen, der Unterricht hatte begonnen. Da ging die Tür auf und dieses wunderbare Wesen betrat den Raum. Ihre leuchtende Gestalt übe rstrahlte alles, füllte das Klassenzimmer aus. Wie die wiedergeborene Jungfrau Maria erschien sie mir. Alle starrten sie an. Die Hand des Lehrers mit der Kreide sank herab. “Hallo”, sagte sie leise und sah zu Boden, ihre Wangen glühten auf.
Der einzige freie Platz war links neben mir. Die restliche Woche saß sie dort. Ihr Blick wärmte mein Herz. Wann immer sie mit mir redete, sah sie mich auch an. Und sie hörte mir zu.
Ich wusste, dass sie es war. Meine Erlösung. Als sie mich in der großen Pause hinter einem Busch küsste, schoss das Glück durch mich hindurch, mein Herz flatterte. Ein Tor öffnete sich für mich, das Tor zu einer neuen, bisher nur vage erahnten Welt mit ihren verlockenden Früchten.
Doch von diesem Tag an beachtete sie mich weniger als zuvor. Ich glaubte, sie traute sich nicht, wegen der anderen. Drei Wochen später war das Sommerfest der Schule. Mutter ließ mich nicht hingehen. Als sie endlich im Bett lag, schlich ich mich aus dem Haus. Es war die Gelegenheit, Annelie näher zu kommen.
Die Aula war stickig und voll, die Musik dröhnte viel zu laut in meinen Ohren. Auch wenn Alkohol offiziell verboten war, hatten die meisten Schüler zuviel getrunken und benahmen sich albern. Sie schubsten mich und sagten dumme Sachen. Ich schob mich zwischen ihnen hindurch und suchte sie. Sie war nicht da. Enttäuscht ging ich hinaus auf den Pausenhof, um alleine zu sein. Dort sah ich sie im Mondlicht auf einer Schaukel sitzen, ihre Haut leuchtete wie Schnee. Mein Herz tat einen Sprung.
Doch sie war nicht alleine. Einer der Jungs aus der Zwölften stand bei ihr, die Hände in den Hosentaschen und redete mit ihr.
Fassungslos musste ich mit ansehen, wie sie aufstand und zu ihm ging. Ganz nahe stand sie bei ihm, sah zu ihm auf. Ich hörte ihre Worte, doch der Inhalt drang nicht in mein Bewusstsein. Da war dieses Rauschen in meinen Kopf, dass alles überlagerte. Dann küsste er sie und sie wehrte sich nicht. Ganz im Gegenteil.
All meine Hoffnungen zerbrachen klirrend wie Porzellan auf Fli esenboden. Ich bekam kaum Luft, als ich um die Schule herum rannte, hinein in den angrenzenden Park. Niedergedrückt von all diesen Gefühlen fiel ich auf die Knie und schlug mit den Fäusten auf die feuchte Wiese. Ich rollte mich zusammen und wünschte mir, von Mutter Erde verschluckt zu werden. Ich wollte nicht mehr in dieser grausamen Welt leben.
Kälte und Müdigkeit trieben mich zurück nach Hause.
Von dem Tag an musste ich mit ansehen, wie Annelies Augen leuchteten, wie sie selig vor sich hin lächelte. Mir schenkte sie keine Beachtung mehr. All ihr Strahlen galt ihm: Ben Biller, einer der coolen Typen, die mich nur verspotteten.
Ausgerechnet er. Wie konnte sie das nur tun.
Dann, drei Wochen und zwei Tage später, musste etwas passiert sein zwischen den Beiden. Annelie weinte still vor sich hin, immer wenn sie sich unbeobachtet fühlte. Ben Biller löste sich beinahe in Luft auf. Ich versuchte sie zu trösten, doch sie schien mich nicht wahrzunehmen.
Nach den Sommerferien kam sie nicht mehr an die Schule zurück. Man sagte, sie sei auf ein anderes Gymnasium gewechselt.
Seine Finger glitten von den feuchten Tasten. Er lehnte sich zurück und starrte auf die Buchstaben, bis sie vor seinen Augen ve rschwammen. Statt ihn zu erlösen, hatte sie ihn verdammt. Doch sie würde
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