Bereue - Psychothriller (German Edition)
begreifen. Und büßen.
Er begann das nächste Kapitel. Ben Billers Sterben. Er schrieb die Ereignisse der letzten Tage nieder und fügte den Zeitungsartikel über seinen Untergang als Bild ein.
Das Schrillen der Türklingel drang vom Flur herein. Er zuckte zusammen. Es war schon siebzehn nach neun, wer konnte das sein. Sie bekamen nie Besuch.
Mit hämmerndem Herzen kratzte er sich am Hinterkopf, verkrallte seine Nägel in die Haut. Wieder klingelte es. Der Ton des Fernsehers wurde leiser gestellt, stampfende Schritte hallten herüber. Mutter würde wütend sein, dass er nicht aufmachte. Doch er konnte sich nicht bewegen.
Atemlos lauschte er mit dem Ohr an der Zimmertür.
Auf die knappe Begrüßung von Mutter hörte er eine sanfte tiefe Stimme. Sie kam ihm bekannt vor.
Am ganzen Leib zitternd rief er das Überwachungsprogramm auf. Der rote pulsierende Punkt des Senders an Ben Billers Wagen lag keine hundert Meter entfernt von dem blauen Punkt, der seinen eigenen Standort markierte.
Er war hier. Wie hatte das passieren können. Welchen Fehler hatte er gemacht. Sein Herz schlug so heftig, dass es bis in seinen Kiefer schmerzte. Das Ohr wieder an die Tür gedrückt lauschte er. Doch das Rauschen des Blutes übertönte die Worte, die nur wenige Meter entfernt gewechselt wurden.
45
Die freundliche Stimme des Navigationsgerätes verkündete: “Sie haben Ihr Ziel erreicht.” Wenn es doch nur so wäre.
Ben fuhr an der Reihe mit den Wohnblocks vorbei. Die Straße war auf beiden Seiten zu geparkt. Erst in einer Seitenstraße fand er einen freien Platz im Parkverbot. Egal, solange der Wagen nicht abgeschleppt wurde.
So schnell es seine müden Beine zuließen lief er zur Hausnummer siebenundfünfzig zurück und las die Klingelschilder. Tuschonsky fand er zwischen diversen anderen exotischen Namen.
Die Tür schwang auf, ein buckliger Mann mit einem zottligen Hund kam heraus.
Er fing die Tür auf, bevor sie ins Schloss schnappen konnte, und ging über den Flur im Erdgeschoss, las die Namensschilder an den Türen. Genauso im ersten Stock. Schließlich fand er die Wohnung Tuschonsky im zweiten Stock. Das Licht ging in dem Moment aus, als er die Klingel drücken wollte. Seufzend tastete er sich an der Wand entlang zum Lichtschalter. Die Funzeln an der Decke sprangen wieder an. Bewusst atmete er ein paar Mal tief ein. Ruhig jetzt.
Er klingelte. Ein durchdringendes Schrillen erklang. Keine Reaktion. Doch er hörte eindeutig eine Stimme. Nein zwei. Donnerstagabendfernsehprogramm. Also noch mal klingeln.
Stampfende Schritte näherten sich von innen. Hielten inne. Dann wurde die Tür einen Spalt aufgezogen. Das Gesicht einer unglaublich dicken Frau erschien, die zwei schwarzen Striche über ihren Augen wurden nur von einer steilen Falte getrennt. “Ja?”, drang es irgendwo aus diesem Gesicht.
Schnell rekapitulierte er sein Sprüchlein und räusperte sich. “Bitte entschuldigen Sie die späte Störung. Ich bin ein alter Bekannter von Jakob. Da ich gerade in der Gegend bin, wollte ich mal sehen, wie es ihm geht. Ist er zu Hause?”
Die strichartigen Augenbrauen wanderten nach oben. Ihr Blick glitt über sein Gesicht und wanderte fast spürbar seinen Körper entlang nach unten. Er zwang sich, nicht zurückzuweichen. Langsam glitt der Blick zurück zu seinen Augen. “Ein Bekannter von Jakob? Das kann ich mir nicht vorstellen. Mein Junge verkehrt nicht mit Leuten wie Ihnen.”
Meinte sie vielleicht sein zerschundenes Gesicht? Das musste wirklich abschreckend wirken. Er zwang sich zu einem Lächeln. “Normalerweise sehe ich nicht so aus. Aber ich bin gestern überfallen worden. Sie wissen ja, die Jugend heutzutage.”
Ihr Gesicht entspannte sich ein wenig. “Da haben Sie recht. Bei Gott.”
Ungeduldig trat er von einem Fuß auf den anderen. “Ist Jakob nun da?”
Sie drehte den Kopf nach hinten und präsentierte ihm die teigige Masse unter ihrem Haaransatz.
Erst jetzt bemerkte er den ranzigen Geruch, den sie verströmte. Er öffnete leicht den Mund, um nicht die volle Ladung in die Nase zu bekommen.
“Er ist schon zu Bett gegangen. Kommen Sie morgen wieder.”
Verflucht, er konnte jetzt doch nicht so einfach gehen. “Jaja, war schon immer ein braver Kerl, der Jakob.”
Ihre Gesichtszüge entgleisten auf eine noch nie gesehene Art, alles schien sich aufeinander zu zubewegen: Augen, Brauen, Mund. All das traf sich dicht an der grobporigen Nase. “Brav?”, keifte sie. “Verdorben bis ins Mark. Sie sind
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