Bereue - Psychothriller (German Edition)
ihrem Bier und dummem Gelaber.”
“Sonst niemand?”
“Doch. Ein unauffälliger Typ mit einer Baseballmütze.”
“Schau ihn dir genau an. Wie sieht er aus?”
“Keine Ahnung. Ich sehe nur ein käsiges Durchschnittsgesicht unter der Mütze.”
“Hat er dich angesehen, als du reingekommen bist?”
Hatte der Typ ihn angesehen? “Nein, er hat in einer Zeitschrift gelesen.”
“Das könnte er gewesen sein. Wenn er wollte, dass du mit Annelie zusammentriffst, musste er ja auch dabei sein, oder? Sonst macht es für ihn keinen Sinn.”
Ben öffnete ein Auge. Dann das Zweite. “Du hast recht. Und warum sonst, als mich mit Annelie zu konfrontieren, hätte er mir das Streichholzheftchen im Auto hinterlassen. Aber warum?”
“Er wusste von Annelies Abneigung gegen dich und wollte dich von ihr gedemütigt sehen.”
Das hörte sich zwar nach Psychokacke an, war aber nachvollziehbar. “Okay. Woher kann er davon gewusst haben?”
“Es ist jemand von früher.”
“Aus der Schulzeit? Das ist doch ewig her.”
“Bei manchen Menschen schwelen Verletzungen aus der Kindheit und Jugend oft Jahrzehnte vor sich hin, bis sie ein Ventil finden.”
“Du wirst mir gleich sagen, dass ich damals schon ein Riesenarschloch war und verdammt vielen Leuten auf die Zehen getreten bin.”
Richard grinste und schüttelte den Kopf. “Ein bisschen eingebildet, aber du warst ein Teenager im Bereich der Normalität.”
“Das beruhigt mich ja ungemein.”
Richard rieb sich das Kinn, sein Blick verschwamm. „Jakob.“
„Was für ein Jakob?“
„Jakob Tuschonsky. Er war in der gleichen Klasse wie Annelie und ich. Der Typ, der ihr wie ein Hündchen gefolgt ist.“
„Du meinst Speckie?“
Richard verdrehte die Augen. „Ihr Idioten habt ihn so genannt, ja.“
“Aber der war fett und picklig und hatte eine Brille mit Gläsern dick wie Bierflaschenböden. Der Typ im Café war dünn und sah ganz normal aus.”
“Menschen verändern sich.”
Ben schloss die Augen und ging zwanzig Jahre zurück. In die Zeit, als er auf Annelie aufmerksam geworden war.
Heimlich verfolgte Ben Annelie mit Blicken. Er sah sie auf dem Pausenhof, auf den Gängen. Ob sie mit anderen Mädchen von einem Klassenzimmer zum anderen ging oder alleine die Aula durchquerte, fast immer folgte Speckie ihr wie ein Schatten. Manchmal hatte er sie auch mit ihm reden sehen. Sie war eine der wenigen, die sich mit dem Loser abgaben. Aus Mitleid. Und er war neidisch gewesen auf Speckie, weil sie sich mit ihm abgab.
Dann passierte das Unglaubliche. Sie wurden ein Paar. Schneewittchen und Benni. Fortan waren sie unzertrennlich, trafen sich in jeder Pause. Die Welt um sie herum war für ihn nur noch zierendes Beiwerk gewesen. Speckie hatte er nicht mehr wahrgenommen. “Speckie hat sich in Luft aufgelöst, kaum dass ich mit ihr zusammen war. Jedenfalls soweit ich mich erinnere. Aber ich habe ihn auch nicht wirklich beachtet.”
“Natürlich nicht.”
“Hey, was interessiert mich so ein Langweiler. Ist dir damals an ihm was aufgefallen?”
Richard nickte langsam. “Jakob hat sich verändert ab dem Tag nach dem Sommerfest. Ich hatte die Ehre, hinter ihm zu sitzen. Von meinem heutigen Standpunkt aus würde ich behaupten, dass er extrem starke Wut unterdrückt hat. Vorher war er immer ein ruhiger Typ gewesen. Höflich, nett, geradezu kriecherisch hilfsbereit. So ein Mensch, der sich bückt, wenn dir was runterfällt. Doch dann.” Richard lehnte sich zurück und schloss die Augen, legte sich die Hände auf das Gesicht. “Er hat Stifte zerbrochen. Fliegen aus der Luft gefangen und sie auf den Mienenbleistift gespießt. So Kleinkram, aber kranke Sachen. Einmal hat er komisches Zeug auf dem Schulklo gemurmelt. Ich bin auf die Schüssel nebenan gestiegen und hab über die Wand geschaut. Er hat auf dem Boden gekniet und gebetet.”
“Bescheuert.” Ben schüttelte den Kopf. Was es für Typen gab. “Du bist der Fachmann. Denkst du, er würde mich zwanzig Jahre später in den Selbstmord treiben wollen, nur weil ich mit Annelie zusammen war?”
Die Hände flach aneinandergelegt schien Richard selbst zu beten. Doch Ben wusste, dass sein Bruder mit dem Herrgott so wenig am Hut hatte wie er selbst. “Fachmann. Die Psychologie ist keine exakte Wissenschaft.” Er schüttelte den Kopf. “Aus der damaligen Zeit fällt mir sonst niemand ein. Niemand, der Annelie und dich gut genug kennt.”
Ben atmete tief durch. Der unscheinbare Speckie. Nie wäre er auf ihn
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