Berg der Legenden
besonders gern tat.
»Ihr Anteil am Gewinn, altes Haus«, sagte Keedick und versuchte, Georges englischen Akzent nachzumachen. »Fünfzig Prozent, wie vereinbart.«
»Danke«, sagte George und verstaute den Umschlag in der Innentasche. In Keedicks Gegenwart würde er ihn gewiss nicht öffnen.
Als George sich auf die Suche nach seiner Koje machte, war er nicht überrascht, dass er ins Zwischendeck abgestiegen war, vier Decks unter dem Hauptdeck, wo er sich mit drei anderen eine Kabine teilte, die nicht sehr viel größer war als sein Zelt am Nordsattel. Als das erste Tuten des Nebelhorns ihre Abfahrt verkündete, hörte er auf auszupacken und eilte hoch an Deck, damit er die gemächliche Fahrt des Schiffes aus dem Hafen verfolgen konnte.
Wieder einmal lehnte er an der Reling und blickte hinunter auf den Kai. Wieder winkten Freunde und Familien, dieses Mal zum Abschied. Er machte sich nicht die Mühe, nach Lee Keedick Ausschau zu halten, der mit Sicherheit schon längst verschwunden war. George sah die gigantischen Wolkenkratzer immer kleiner werden, und als auch die Freiheitsstatue schließlich nicht mehr zu sehen war, beschloss er, es sei an der Zeit, der Realität ins Auge zu blicken.
Er holte den Umschlag aus der Tasche, riss ihn auf und zog den Scheck heraus. Zahlungsanweisung: The Royal Geographic Society $ 48. Er lächelte und dachte für einen Moment an Estelle, aber nur für einen Moment.
Siebtes Buch
Das Privileg einer Frau
50
Hand in Hand schlenderten sie die King’s Parade hinunter und sahen aus wie ein Studentenpaar.
»Spann mich nicht länger auf die Folter«, sagte Ruth. »Wie ist das Vorstellungsgespräch gelaufen?«
»Es hätte kaum besser laufen können«, sagte George. »Sie schienen mit all meinen Ansichten über höhere Bildung übereinzustimmen und sträubten sich auch nicht, als ich vorschlug, Frauen, die dieselben Fächer belegen wie Männer, auch die entsprechenden Abschlüsse zuzugestehen.«
»Das wird aber auch Zeit«, sagte Ruth. »Selbst Oxford hat sich damit arrangiert.«
»Möglicherweise braucht es noch einen Krieg, bis sich in Cambridge etwas bewegt«, sagte George, als ihnen zwei alte, bärbeißige Professoren entgegenkamen.
»Glaubst du denn, dass sie dir die Stelle anbieten? Oder werden sie noch mit weiteren Bewerbern sprechen?«
»Ich glaube nicht«, sagte George. »Um ehrlich zu sein, Young hat mir den Eindruck vermittelt, ich sei der Einzige auf der Liste, und der Vorsitzende des Bewerbungsausschusses verriet sich so ziemlich, als er mich fragte, ob ich nächsten September mit der Arbeit beginnen könne.«
»Das ist wunderbar«, sagte Ruth. »Herzlichen Glückwunsch, Liebster.«
»Aber wirst du es nicht schrecklich langweilig finden, alles aufzugeben und nach Cambridge ziehen zu müssen?«
»Um Himmels willen, nein!«, sagte Ruth. »Ich kann mir keinen besseren Ort vorstellen, um die Kinder großzuziehen, und du hast immer noch so viele Freunde hier. Lass uns dankbar sein, dass sie dich erst nächsten September brauchen, dann habe ich genügend Zeit, ein neues Haus zu suchen und den Umzug zu planen, während du fort bist.«
»Während ich fort bin?« George machte ein verwirrtes Gesicht.
»Ja, denn wenn die Stelle erst nächstes Jahr beginnt, sehe ich keinen Grund, warum zu nicht losziehen und deinen Berg besteigen solltest.«
George starrte sie an, als könnte er nicht begreifen, was er gerade gehört hatte. »Willst du damit sagen, Liebes«, brachte er schließlich hervor, »dass du nichts dagegen hättest, wenn ich mich für die nächste Expedition anmelden würde?«
»Im Gegenteil, ich würde es begrüßen«, sagte Ruth. »Die Vorstellung, du könntest monatelang im Haus herumlungern wie ein Bär mit Kopfschmerzen, ist nicht besonders verlockend, und ganz bestimmt will ich nicht in der Nähe sein, wenn Finch am Ende oben auf deinem Berg steht und du ihm nur noch ein Glückwunschtelegramm schicken kannst. Natürlich«, fuhr sie fort, »könnte es sein, dass sie dir gar keinen Platz mehr in der Bergsteigergruppe anbieten.«
»Aber warum nicht?«, wollte George wissen.
»Nun, du magst vielleicht immer noch wie ein Student aussehen, Liebster, und dich gelegentlich sogar wie einer benehmen, aber wenn sie deinen Lebenslauf etwas genauer anschauen, werden sie rasch feststellen, dass du kein junger Hüpfer mehr bist. Du solltest ihnen also möglichst schnell mitteilen, dass du zur Verfügung stehst, denn das wird ohne Zweifel deine letzte Gelegenheit
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