Berg der Legenden
fragte Young.
»Allerdings«, sagte Hinks. »Finch hat einen Vertrag unterschrieben, genau wie Sie, Mallory, dass er fünfzig Prozent sämtlicher Einkünfte an die RGS abführt, die er im Zusammenhang mit der Everest-Expedition erwirtschaftet.«
»Um wie viel Geld geht es?«, fragte Young.
»Das wissen wir nicht«, räumte Hinks ein, »da Finch sich weigert, eine Abrechnung vorzulegen, obwohl er mehrfach dazu aufgefordert wurde. Am Ende hatte die Society keine andere Wahl, als eine einstweilige Verfügung zu beantragen, um das einzufordern, was ihr rechtmäßig zusteht.«
»Ich habe von Anfang an gesagt, dass er ein Schuft ist«, sagte Ashcroft. »Dieser Vorfall beweist nur, dass ich recht hatte.«
»Glauben Sie, dass die Angelegenheit vor Gericht enden wird?«, fragte Young.
»Ich hoffe nicht«, sagte Hinks. »Aber wenn, dann kommt es vermutlich erst zur Verhandlung, wenn die Expedition bereits in Tibet ist.«
»Die Sherpas werden gewiss furchtbar empört sein«, sagte George.
»Diese Angelegenheit ist nicht zum Lachen«, sagte Sir Francis ernst.
»Ist irgendeiner der Gentleman hier am Tisch der Ansicht, dass dieses jüngste Vergehen in irgendeiner Weise Finchs Fähigkeiten als Bergsteiger beeinträchtigen könnte?«, fragte Young.
»Darum geht es nicht, Young«, sagte Hinks, »und das wissen Sie auch.«
»Es wird darum gehen«, sagte George, »wenn ich auf 8230 Metern entscheiden muss, wen ich als Seilpartner für den Gipfelaufstieg mitnehme.«
»Sie können immer noch zwischen Norton und Somervell wählen«, erinnerte Hinks ihn.
»Und die beiden wären die Ersten, die zugäben, dass sie Finch nicht das Wasser reichen können.«
»Sie müssen doch einsehen, Mallory, dass der RGS nach diesem letzten Vorfall keine andere Wahl bleibt.«
»Es ist nicht das gottgegebene Recht der RGS, darüber zu entscheiden, wer zur Bergsteigergruppe gehören soll und wer nicht«, sagte Mallory. »Nur für den Fall, dass Sie es vergessen haben, Mr Hinks, dies hier ist das Mount-Everest-Komitee.«
»Ich würde sagen, Mallory«, mischte Ashcroft sich ein, »das war ein bisschen harsch.«
»Dann möchte ich Ihnen eine Frage stellen, Commander«, spuckte George aus, »bei Ihrer immensen Erfahrung, die Sie über dem Meeresspiegel gesammelt haben: Wer, glauben Sie, könnte Finch ohne weiteres ersetzen?«
»Gut, dass Sie diesen Punkt ansprechen, Mallory«, antwortete Hinks, »denn ich bin der Ansicht, wir haben einen geeigneten Nachfolger aufgetan.«
»Und wer sollte das sein?«, fragte Mallory.
»Ein junger Mann namens Sandy Irvine. Er gehört zur Rudermannschaft von Oxford und erklärt sich trotz der kurzen Vorlaufzeit dazu bereit, an der Expedition teilzunehmen.«
»Da ich nicht vorhabe, den Everest hinaufzurudern, Mr Hinks, könnten Sie uns vielleicht verraten, über welche Erfahrungen als Bergsteiger Mr Irvine verfügt? Ich habe noch nie von ihm gehört.«
Zum ersten Mal lächelte Hinks. »Anscheinend war Ihr Freund Odell sehr beeindruckt von dem Burschen, als sie letztes Jahr nördlich des Polarkreises unterwegs waren und Irvine als erster den Gipfel des höchsten Berges auf Spitzbergen erreichte.« Hinks sah ausgesprochen zufrieden mit sich aus.
»Spitzbergen«, mischte Young sich ein, »ist etwas für vielversprechende Neulinge, und für den Fall, dass Sie es nicht wissen, Mr Hinks, der höchste Berg dort oben ist etwa 1700 Meter hoch.«
»Wenn ich das nächste Mal jemanden suche, der mich auf 1700 Meter begleitet«, sagte George, »versichere ich Ihnen, Mr Hinks, dass ich Irvine als Ersten in Betracht ziehen werde.«
»Ich sollte zudem darauf hinweisen, Mallory«, sagte Hinks, »dass Irvine in Oxford Chemie studiert und sehr gut mit den Sauerstoffapparaturen vertraut ist, mit denen Finch auf der letzten Expedition herumexperimentiert hat. Tatsächlich weiß ich aus zuverlässiger Quelle, dass er in regelmäßigem Kontakt mit dem Hersteller steht und ständig daran arbeitete, das System zu verbessern.«
»Finch ist ebenfalls ein Fachmann, was den Einsatz von Sauerstoff angeht, und er hat einen First-Class- Abschluss, der das beweist«, erinnerte George ihn. »Und nur für den Fall, dass das Komitee es vergessen haben sollte: Er hat bereits Erfahrung mit dem Einsatz von Sauerstoff über 8300 Meter, wogegen Sie seinerzeit erhebliche Vorbehalte hatten, Mr Hinks. Vielleicht noch bedeutsamer ist die Tatsache, dass Finch momentan mit 8488 Metern den weltweiten Höhenrekord hält, wie ich zu meinem Leidwesen
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