Berg der Legenden
sie ein kriegerisches Volk sind.«
»Manche würden dasselbe von den Engländern sagen, wenn es in unserem Interesse wäre.«
»Das ist nicht wahr, Sir«, widersprach Wainwright. »England zieht nur in den Krieg, wenn es einen Grund dafür gibt.«
»In den Augen der Engländer«, erwiderte George, was Wainwright einen Augenblick zum Schweigen brachte.
»Aber wenn wir in den Krieg ziehen müssen«, sprang Carter Minor ein, »würden Sie sich dann verpflichten?«
Ehe George darauf antworten konnte, mischte Wainwright sich erneut ein. »Mr Asquith hat gesagt, wenn England in den Krieg zöge, wären die Lehrer vom Militärdienst befreit.«
»Sie scheinen über das Thema ungewöhnlich gut informiert zu sein, Wainwright«, sagte George.
»Mein Vater ist General, Sir.«
»Ansichten, die man von klein auf zu hören bekommt, sind stets schwerer abzuschütteln als die, die im Klassenzimmer gelehrt werden«, erwiderte George.
»Wer hat das gesagt?«, fragte Graves.
»Bertrand Russell«, antwortete George.
»Und der ist, wie jeder weiß, ein Drückeberger«, fuhr Wainwright dazwischen.
»Was ist ein Drückeberger?«, fragte Carter Minor.
»Ein Kriegsdienstverweigerer. Jemand, dem jede Entschuldigung recht ist, um nicht für sein Land zu kämpfen«, sagte Wainwright.
»Jedem sollte es gestattet sein, seinem eigenen Gewissen zu folgen, Wainwright, wenn man sich mit einem moralischen Dilemma konfrontiert sieht.«
»Zweifelsohne ebenfalls Bertrand Russell«, sagte Wainwright.
»Nein, Jesus Christus«, sagte George.
Wainwright verstummte, aber Carter Minor sprang erneut ein. »Wenn wir in den Krieg ziehen, Sir, würde das nicht Ihre Chancen zunichtemachen, den Everest zu besteigen?«
Kindermund tut Wahrheit kund … Ruth hatte ihn beim Frühstück dasselbe gefragt, und anschließend die weit wichtigere Frage gestellt, ob er sich verpflichtet fühlen würde, sich zur Armee zu melden. Oder ob er sich, wie ihr Vater polternd eingeworfen hatte, unter seinem schützenden Lehrertalar verstecken würde.
»Meine persönliche Meinung …«, begann George, doch in diesem Moment läutete die Glocke. In ihrem Übereifer, nur nicht die morgendliche Pause zu versäumen, schien sich die Klasse nicht für seine persönlichen Ansichten zu interessieren.
Als George in den Gemeinschaftsraum ging, blendete er jeden Gedanken an einen Krieg aus, in der Hoffnung, mit Andrew, den er seit seiner Rückkehr aus Venedig noch nicht gesehen hatte, zu einer friedlichen Einigung zu kommen. Als er die Tür zum Gemeinschaftsraum öffnete, entdeckte er den Kollegen in seinem angestammten Sessel, wie er ohne aufzublicken die Times las. George schenkte sich eine Tasse Tee ein und ging langsam zu ihm hinüber, bereit für ein Runde mentalen Faustkampf.
»Guten Morgen, George«, sagte Andrew, immer noch ohne aufzublicken.
»Guten Morgen, Andrew«, erwiderte George und ließ sich auf dem Platz neben ihm nieder.
»Ich hoffe, Sie hatten angenehme Ferien«, fügte Andrew hinzu, als er seine Zeitung beiseitelegte.
»Mehr als angenehm«, erwiderte George vorsichtig.
»Kann ich von mir nicht behaupten, alter Knabe.«
George lehnte sich zurück und wartete auf den Angriff.
»Ich nehme an, Sie haben von Ruth und mir gehört?«, sagte Andrew.
»Natürlich.«
»Und wie lautet Ihr Rat, was ich in dieser Angelegenheit unternehmen sollte, alter Knabe?«
»Großmut zeigen?«, schlug George hoffnungsvoll vor.
»Sie haben gut reden, mein Freund, aber was ist mit Ruth? Großmut wäre in diesem Fall wohl etwas viel verlangt.«
»Warum nicht?«, fragte George.
»Könnten Sie Großmut zeigen, wenn ich Sie in letzter Minute im Stich gelassen hätte?«
Darauf fiel George keine passende Antwort ein.
»Ich hatte mir wirklich fest vorgenommen, nach Venedig zu fahren, wissen Sie«, fuhr Andrew fort, »aber dann erreichten wir das Halbfinale des Taunton Cups.«
»Herzlichen Glückwunsch«, sagte George. Allmählich dämmerte es ihm.
»Und die Jungs haben mich überredet. Sie sagten, ich könne sie jetzt nicht blamieren, besonders, da sie keinen anderen Torwart hätten.«
»Sie sind also gar nicht nach Venedig gefahren?«
»Das versuche ich Ihnen doch schon die ganze Zeit begreiflich zu machen! Und es kommt noch schlimmer, denn wir haben den Cup nicht einmal gewonnen, so dass ich doppelt verloren habe.«
»So ein Pech!«, sagte George und versuchte, ein Feixen zu unterdrücken.
»Meinen Sie, sie wird jemals wieder mit mir sprechen?«, fragte
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