Berg der Legenden
Höhe von 8200 Metern mit stürmischen Winden, einer Temperatur von –40 °C und so wenig Sauerstoff in der Luft rechnen, dass es fast unmöglich werden könnte, zu atmen.«
»Dann brauchen Sie auf jeden Fall einen Wollschal und warme Handschuhe, ganz zu schweigen von einer angemessenen Kopfbedeckung«, sagte Mr Pink und kam hinter seinem Tresen hervor.
Als Erstes empfahl der Geschäftsführer einen Burberry-Schal aus Kaschmir, gefolgt von einem Paar pelzgefütterter schwarzer Lederhandschuhe. George folgte Mr Pink durch den Laden, während er drei Paar dicke graue Wollsocken, zwei marineblaue Pullover, eine Shackleton-Windjacke, mehrere Seidenhemden und das neuste Paar pelzgefütterter Wanderstiefel aussuchte.
»Darf ich fragen, Sir, ob Sie für die Dauer Ihres Aufenthalts Schnee erwarten?«
»Für den Großteil der Zeit, fürchte ich«, sagte George.
»Dann werden Sie einen Regenschirm benötigen«, sagte Mr Pink. »Und was ist mit der Kopfbedeckung, Sir?«
»Ich dachte daran, die lederne Fliegermütze meines Bruders mitzunehmen, dazu eine Schneebrille«, sagte George.
»Ich glaube nicht, dass der modebewusste Gentleman dieses Jahr so etwas trägt, Sir«, sagte Mr Pink und reichte ihm den neusten Deerstalker-Hut.
»Aus diesem Grund wird es auch kein modebewusster Gentleman sein, der als Erster einen Fuß auf den Gipfel des Everest setzt.«
George lächelte, als er Finch an den Tresen treten sah, die Arme voller Zeug.
»Wir von Ede & Ravenscroft«, wagte Mr Pink einzuwenden, »glauben, dass das Erscheinungsbild eines Gentleman stets von Bedeutung ist, gleichgültig, wessen Berges Gipfel er erklimmt.«
»Ich wüsste nicht, warum«, sagte Finch, während er seine Einkäufe auf dem Tresen ablud. »Dort oben werden gewiss keine Mädchen auf uns warten.«
»Wäre das dann alles, Mr Finch?«, fragte der Geschäftsführer, ohne seine Missbilligung zu verhehlen.
»Bei diesen Preisen, ja«, sagte George, nachdem er seine Rechnung überprüft hatte.
Mr Pink machte eine höfliche Verbeugung und begann, die Einkäufe seiner Kunden einzupacken.
»Gut, dass wir uns treffen, Finch«, sagte George. »Es gibt etwas, das ich mit Ihnen besprechen muss.«
»Sagen Sie nicht, Sie seien zu der Erkenntnis gekommen, doch noch den Einsatz von Sauerstoff in Erwägung zu ziehen.«
»Schon möglich«, sagte George. »Obwohl ich immer noch nicht überzeugt bin.«
»Dafür müsste ich mindestens ein paar Stunden Ihrer Zeit in Anspruch nehmen, und ich bräuchte die richtige Ausrüstung, damit ich Ihnen demonstrieren kann, warum Sauerstoff den entscheidenden Unterschied macht.«
»Lassen Sie uns auf dem Schiff nach Bombay darüber reden. Dann werden Sie mehr als genug Zeit haben, mich zu überzeugen.«
»Das setzt voraus, dass ich an Bord sein werde.«
»Aber Sie sind doch bereits für die Expedition ausgewählt worden.«
»Nur aufgrund Ihrer Intervention«, sagte Finch mürrisch. »Und ich danke Ihnen, denn ich fürchte, näher als einer Weihnachtskarte mit Bergmotiv ist Hinks einem Berg nie gekommen.«
»Das macht dann dreiunddreißig Pfund und elf Shilling, Mr Finch«, sagte Mr Pink. »Darf ich fragen, wie Sie die Forderung dieses Mal zu begleichen gedenken?«
»Schicken Sie mir die Rechnung zu«, sagte Finch und versuchte, den Akzent zu imitieren, den Mr Pink speziell für seine Kunden reserviert hatte.
Der Geschäftsführer zögerte einen Moment, eher er eine Verbeugung andeutete.
»Dann sehen wir uns also an Bord«, sagte Finch, ehe er sein in braunes Papier gewickeltes Paket an sich nahm und den Laden verließ.
»Ihre Rechnung beläuft sich auf einundvierzig Pfund, vier Shilling und sechs Pence, Mr Mallory«, sagte Mr Pink.
George schrieb einen Scheck über die geforderte Summe aus.
»Vielen Dank, Sir. Und darf ich Ihnen im Namen von uns allen hier bei Ede & Ravenscroft sagen, Sir, dass wir hoffen, Sie werden als erster Mensch den Gipfel des Everest erreichen, und nicht …«
Mr Pink beendete seinen Satz nicht. Beide Männer blickte aus dem Fenster und sahen Finch zu, wie er die Straße hinabschritt.
Fünftes Buch
Über den Rand der Landkarte hinaus
1922
36
Donnerstag, 2. März 1922
Kaum war George in Tilbury an Bord der SS Caledonia gegangen, wusste er, dass er sich auf eine Reise begeben hatte, auf die er sich sein ganzes Leben lang vorbereitet hatte.
Die Bergsteiger verbrachten die fünfwöchige Seereise nach Bombay damit, sich besser kennenzulernen, ihre Kondition zu verbessern und
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