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Berge Meere und Giganten (German Edition)

Berge Meere und Giganten (German Edition)

Titel: Berge Meere und Giganten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Döblin
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»Wir haben sehr Entsetzliches verbrochen.« Der unerschöpfliche Ten Keir sprudelte: »Gott will uns strafen mit Milch und Honig. Die Strafmethoden haben sich im Lauf der Jahrhunderte geändert. Die Menschen haben sich auf Pech und Schwefel nicht gebessert, jetzt versucht es Gott so.« Frau Atorai unverändert ernst: »Und er hat recht. Wir bessern uns schon. Aber noch nicht genug. Die Kur muß intensiver durchgeführt werden. Ich fürchte, er wird gegen uns nicht vor dem Äußersten zurückschrecken.« »Was ist das, Atorai?« Sie verdrehte die Augen, spitzte den Mund: »Ich möchte gerne, – ich möchte gerne – je nach Laune – Mann oder Frau sein.« Sie tosten ein Gelächter. »Kommt!« »Man hat schon etwas läuten hören.« Und im Lachen immer ernst Frau Atorai, den Mund vorwurfsvoll spitzend: »Läuten! Ich möchte doch in diese Kirche gehen. Bin so sündig.«
    Die gute Laune der Belgier schlug um, als später der stille Londoner Pember sprach. Es sei, gab der dicke von sich, über diese Leute nicht nur zu lächeln. Man müßte in der Tat ihre Haut, ihre Köpfe, die Leiber ansehen. Die seien nicht nur von der kurzen jämmerlichen Flucht so ruiniert. Wovon seien diese Menschen wohl so ruiniert. »Nun« forderte ihn Ten Keir heraus. Pember schüttelte den Kopf: »Du mußt nicht so wild und sicher sein. Wir haben in London die Dinge näher betrachtet als ihr. Nicht freiwillig, sie kamen an uns heran. Ihr hättet sehen und hören sollen, was sich am Ouseriver ereignete. Trübsal, die ich nicht beschreiben kann. Fragt, ob die Menschen recht hatten betrübt zu sein.« »Und?« »Das ist alles. Wie können wir das Elend beenden?« Ten Keir breitete hohnlachend, die Schultern hebend, die Arme aus: »Dazu sind wir hier versammelt, den Jammer der Leute zu diskutieren! Wir werden sie bitten, uns lyrische Gedichte vorzutragen mit Lautenbegleitung und Chor. Dazu sind wir versammelt. Und unsere Städte? Wir, was wir treiben, unsere Stadtschaften, das ist Schund! Was? Nichts! Nichts!«
    Delvil und Pember schwiegen vor dem unerschütterlichen harten Belgier. Auch die amerikanische Kommission, die von London den Engländern nachgereist war, hielt vor den Belgiern still. Stachelnde Worte der Brüsseler standen sie aus, Wutausbrüche des unbeherrschten Ten Keir, der ein Pferd in einem Gespann war, in dem er nicht mitziehen wollte. Sein Groll auf die Stadtflüchtigen. Die beiden Kommissionen hieß er jeden Tag gehen, wo sie hingehörten. Die Fremden zitterten beim Gedanken an eine Begegnung mit ihm.
    Man führte sie durch die Straßen Brüssels. Nach Norden die Häuserreihen Anlagen Waldungen bis an die Schelde, das alte Antwerpen ausschließend, die Schelde, die Brüssel im Westen bei der Vorstadt Oudenaarde erreichte. Nivelles und Soignies die südlichen Ausläufer der Stadtschaft. Man war nicht fern von dem Zentrum Mons. Halb widerwillig ließen sich die Fremden über das prunkende Gebiet tragen; den Belgiern weitete sich das Herz. In Sänften wurden die Fremden stundenlang durch die gewaltigen Hallen getragen, ausgesucht demütige Menschen neben sich, Bewaffnete im Zug. So fest war die Herrschaft der Belgier, daß sie sich von Schultern auf Schultern in voller Sicherheit gleiten lassen konnten. Dies Land hatte wenig Acker und Weide, Entartende Schwächliche wurden rasch beseitigt; in das Land strömten immer Fremde. In den Hallen lagen die erheiternden beglückenden Dinge. Es waren berauschende Schauhäuser. Und was auslag stand jedem der Menschen zur Verfügung, die sich den Herrschenden unterwarfen. Sie hatten außer den Gesetzen nichts anzuerkennen als die wechselnde Arbeit und die langen Pausen. Damit erhielten sich die Stadtschaften, erzeugten wie tropische Bäume ihre Früchte im Überfluß. Die senatorischen Herren und Frauen blickten, durch die Menge getragen, wenig auf die ausweichenden Menschen. Kundige gewandte junge Wesen gingen neben ihnen, traten zu ihnen, Einpeitscher und Einpeitscherinnen, Erforscher und Erfinder von Bedürfnissen, Wesen, die Aussicht hatten, selbst Herren zu werden. Die Lichtmassen Teppiche Kleider, erregende und einschläfernde Getränke, die Speisemischungen Speisererfindungen der Mekifabriken, Badewasser mit erregender treibender einschläfernder Wirkung, Streichler Haucher für die Stirn die Backen die Brust die Arme. Forschend und kalt fuhren die Augen der herrschenden Männer und Frauen über die Dinge. Die Menschen standen gefangen davor, lösten sich von dem Anblick schwer, als

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