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Berge Meere und Giganten (German Edition)

Berge Meere und Giganten (German Edition)

Titel: Berge Meere und Giganten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Döblin
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Sie flehte: »Bist du, Marduk, der den Saal vertrieben hat, ich will es hören.« »Du weißt es.« »Und willst du nicht fragen, Marduk, o Marduk, wer ich bin. Willst du es nicht?« »Balladeuse, wer du bist, die Dutzende Männer gehabt hat, farbige und weiße, starke und zarte, werde ich bald erfahren haben.«
    Da schrie sie. Und wie er seine Lippen zwingend gegen ihren Mund preßte, umschlang sie ihn. Eine dunkle wallende Verschwommenheit war in ihm, war Marduk. Und in dem Weinen Toben Grimmen war die Gnade, die Seligkeit aus der Balladeuse genommen. Sie hielten sich bewegungslos. »Ich habe dich, Marduk. Du hast mich. Du willst es so. Wir entgehen einander nicht. Ich habe dir die Wette angeboten; ich werde dich nicht um Gnade anflehen. Ich bin gewappnet. Du möchtest mich mit deinen Knochen zermalmen. Du mußt nicht glauben, daß du stärker bist als ich, du feiger Marduk, schwacher Marduk; mich begnadigst du nicht.« »Wenn ich dich sehen könnte, Balladeuse. Wie gut, daß ich deine Stimme höre. Sprich nur weiter.« »Wie gut, daß ich dich höre, Marduk. Ich besinne mich wieder. Daß ich dich nicht vergesse. Weißt du schon, warum ich dich herausgefordert habe? Um dich zu demütigen. Um dich erbärmlich zu sehen. Es wird mir in drei Minuten gelungen sein. Jetzt erschreckst du mich nicht. Jetzt reiße ich den Vorhang von dir herunter.« »Sprich nur weiter, Balladeuse.« »Jetzt willst du meinen Mund. Weil du ein Mörder bist. Weil du nur Mord kennst. Und mich ersticken willst. Mein Mund ist nicht für dich. Du möchtest träumen.« »Ich werde aufstehen und einen Dolch gegen deine feigen Worte nehmen.« Sie jubelte: »Darauf wartete ich schon. Darauf wartete ich. Marduk, tus doch. O tus doch.« Er schlug mit der Faust gegen die Wand; leiser Lichtschein kam von der Tür her.
    Sein großer zerwühlter Kopf erhob sich, schnaubend, das verzerrte Gesicht, die brennenden sie suchenden Augen. »Wer, wer will träumen, Divoise? Wer träumt?« Ihr Blick wurde starr. Dies war er, Marduk. An diesem Leib hing sie. Diesen Rumpf hielten ihre Arme.
    Und sie. Die Feueresse sie, die stumme überflutete, sagte nicht »Seligkeit«; der heiße Atem strömte langsam aus ihr, aus diesem ruhenden Leib, die Luft strömte ein, feucht glänzten die weißen Zähne. Weg riß es ihn im Nu. Er schmolz. Das blitzrasch im Zickzack durch die grauen Wolken irrende Flugzeug. Was ist Leben und Sterben. Sein Mund stand offen. »Jetzt stirbst du, Marduk.« »O Marion«, sagte es aus dem heraus, der Marduk geheißen hatte, »ich werde jetzt sterben. Du – bist die Seligkeit. Gott verzeih uns beiden.«
    Nichts hörte und sah sie. Ein Zittern durchfloß sie, ein Schwirren Dröhnen durch ihren Kopf. Er fühlte nicht, wie ihre Hände ihn von sich stemmten, wie eine Kraft in ihre Muskeln trat, die sie nie gezeigt hatten. Der dunkle brennende Kopf, der schnaubende sich erhebende Kopf, Marduks Kopf war vor ihren Augen stehengeblieben. Ihre erblindeten Augen hielten nur ihn fest. Die Seligkeit überstieg überschritt durchbrach es. Der Kopf senkte sich über ihren Hals, an ihre Brust, durch die Rippen, in ihre Brust hinein. Hinein in ihre Brust. Sie biß sich die gefühllose Lippe durch. Schluckte schluchzte kurz auf. Dies war die Wette. Der Schauer. Der Graus. Die Arme fielen von ihr. Tiefe Schwärze. Die furchtbare eisenklirrende zerreißende Qual der Lust. Die streckte sie auf das Laken hin.
    Sie saß neben Marduk auf. Sie schüttelte sich. Im Dunkeln tastete sie sich an die Bank. Marduks Stimme: »Wer geht?« »Ich. Ich sitze hier. Ich sitze auf der Bank.« Nein, sie war nicht vor Marduk erlegen. Das, das mußte etwas anderes sein. Das war etwas anderes, Entsetzliches. Sie sank vor der Bank auf die Knie, sank flach über den Boden hin. In den Händen etwas zu haben, etwas Weiches eine Puppe ein Kind. Sie streichelte den Boden. »Auf, auf«, weinte es in ihr; »ich will nicht leben.«
    Sie taumelte, ging sehr leise auf den nackten Sohlen.
    »Wer geht da? Du, sieh dich vor an den Wänden.« »Ich will nur an das Fenster gehen.« Am Fenster aber stand sie, winselte schluchzte die Balladeuse im geschlossenen Mund, trommelte mit den Fäusten gegen die Wand. Wimmernd ächzend riß sie das Fenster gegen die schwarze Nacht auf, lag mit dem Leib halb über der Umrahmung; tauchte, den Kopf voran, sich tiefer. Hob die Beine an, kreischend. Als Marduk anlief, kippte sie; schlugen die Beine hoch. Das schwarze große Fenster war leer.

    MARDUK STAND mitten im

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