Berge Meere und Giganten (German Edition)
ist es nichts. Wir sollen alle verderben. Weißt du, daß ich dich schon lange nicht gesehen habe. Weißt du, welchen Tag wir heut schreiben.« Er studierte, auf dem Bett sitzend, Jonathans Gesicht. »Heute ist der Jahrestag meines Einzugs in die Stadt.« »Ja.« »Komm näher, Jonathan. Was war noch damals. Laß mich besinnen. Damals ließ ich dich rufen, ich ließ dich nicht fesseln. Dann habe ich mit dir eine – Ehe geschlossen.« »Laß das, Marduk.« »Ich weiß es noch gut. Es tut mir wohl daran zu denken, lieber Bruder. Es war eine finstere schreckliche Zeit. Aber sie war gut. Ich war der Nachfolger Markes.« »Ich will gehen, Marduk, ich will gehen. Ich bitte dich, laß mich gehen.« Marduk der Graubärtige zitterte. Er sah begierig bang den Jungen an, fühlte, daß er sich den Tod wollte, daß er ihn schon halb litt. Sein Körper schüttelte; er murmelte: »Wie die Versuchung sich mir immer wieder nähert. Jetzt kommt sie von dieser Seite. Ich hab es nicht erwartet.« Stark atmend schob er an einer Vase hin und her, drückte sie dann klammernd fest auf den Tisch. Jonathans zarthäutiges Gesicht loderte, die linke Hand hielt er sich vor die Stirn. »Es ist gut, Jonathan, laß nur sein. Ich will dir zu Hilfe kommen. Ich will dir zeigen, warum du nicht gut von mir denkst.« Er zog ihn durch die Tür über den Gang ans Fenster: »Hier siehst du es. Da liegt die Stadt. Du denkst, wie die Straßen früher gefüllt waren. Wie die Häuser aussahen und was ich alles angerichtet habe. Dies ist die Stadt. Sie versumpft verwahrlost verfällt. Das ist Marduks Gesicht. Sag es mir geradeheraus. Ich bin ein geduldiger Zuhörer.« Stiller blickte ihn der Jüngere an, wie auf den bitteren bartumwucherten Mund ein grellroter Sonnenstrahl fiel. »Was du denkst, Jonathan, ist mir keine Neuigkeit. Ist kein Geheimnis. Viele denken es. Wenn ich keine Waffen hätte, wäre ich seit Jahren verschwunden. Sie beschuldigen mich, daß ich sie zugrunde richte, weil ich sie auf die Äcker treibe.« »Ich beschuldige dich nicht, Marduk. Ich bitte dich ja, daß du mir verzeihst.« »Ja ich weiß, du hattest mich schon einmal um Verzeihung gebeten. Auf der Treppe. Oder was war es. Damals. Du fielst, glaub ich, vor mir nieder. Laß gut sein.« Er zog sich vom Fenster zurück, in das Zimmer, hielt eine Stuhllehne stumm eine Zeit gepackt; aus seinem Mund kam dann: »Ich sage dir, ich bin nicht schuld an dieser Erbärmlichkeit. Nicht ich. Ich kann nicht mehr tun. Wie ich den Stuhl in das Zimmer werfe, so sind die Menschen: sie können nichts als poltern und hinfallen, wenn man sie anfaßt. Uns fehlt etwas. Was fehlt uns. Mir ist ja nichts mehr gegeben, Jonathan. Ich kann ja nicht mehr. Sie sind schon zu Tausenden weggelaufen. Zum Schluß werden sie meinen Kopf nehmen. Als wenn sie dann etwas hätten. Ich bin imstande ihnen nachzugeben. Aber – ich tu es nicht. Bin ich schlecht, so gibt es noch Schlechteres als mich. Ich irre herum, aber über ihnen bin ich doch. – Ich bin schlecht, nicht wahr Jonathan?« Er legte hauchend seine Stirn auf die Schulter des andern. »Du bist nicht schlecht. Wenn ich wüßte, wie ich helfen könnte.« »Du zwingst dich. Du sagst mir etwas Gutes, Jonathan, weil ich dir leid tue. Im Grunde meinst du etwas anderes. Bleib bei mir stehen. Du mein Bruder, der mich haßt.« »Ich möchte dir helfen, Marduk, mit allem, was ich kann. Du mußt mir zeigen. Ich will zu dir kommen und neben dir sitzen, Marduk, halt mich nicht für ein Kind. Ich bin dir nicht gram. Ich finde, wahrhaft, in mir nichts an Gram gegen dich. Ich habe dir vieles abzubitten. Gib mir Gelegenheit, Marduk, mich dir gut zu erweisen. Wer bist du, wer bist du, du armer Mensch.« »Nicht so sprechen, nicht so sprechen«, zitterte der andere, »bleib immer so stehen bei mir. Hab ich mich vor dir enthüllt als Armer. Es sind alle arm. Nicht ich allein. Wir verderben alle. Wo ist Rettung.« Er löste sich von Jonathan. Mit vibrierendem Gesicht, zwinkernden Augen, bösen kleinen Blicken auf den Jungen ging er um den runden Tisch, stierte von drüben den andern an: »Es ist etwas faul bei mir. Ich bleibe noch eine Weile hier im Haus. Das ist mein Mauseloch. Ich helf mir schon. Jonathan, ich helf mir schon allein. Sieh meine grauen Haare an. Vor einigen Jahren waren sie wellig und glatt. Jetzt stehen sie wie Borsten auf. Das ist das Schicksal dieses Landes. Man wird mich vielleicht bald aus dem Haus heraustragen. – Es ist genug jetzt. Ich fürchte, ich werde zum
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