Berge Meere und Giganten (German Edition)
knirschte mit den Zähnen: »Warum ist sie zu mir gekommen? Was hab ich ihr getan, daß sie – wegging? Ich habe ihr nichts getan. Sag mir, du hast sie gekannt: was hat sie von mir gewollt. Sie hat mich zerbrochen und dann ist sie weggegangen. Warum, warum?« »Sie sagte, daß sie dich haßte, Marduk.« »Ich habe ihr nichts getan. Sie ist dagewesen. Sie hätte gehen können.« Marduk hatte den andern losgelassen, schüttelte mit den Armen: »Geh weg, Desir. Ich will gar keine Antwort. Steh hier nicht.« Desir mit verträumten Augen wankte zur Tür. Marduk rang sich hinter ihm ab: »Desir. Trage es mir nicht nach. Komm noch einmal. Komm.« Er umarmte ihn. »Du hast sie nicht geschickt. Meine Feinde haben sie nicht geschickt, Desir. Was war in ihr. Warum mußte sie davongehen. Und du hast sie lieb gehabt. Lieb. Lieb. Bist jahrelang bei ihr gewesen.« »Was hast du mit ihr gemacht, Marduk?« »Nichts, nichts, ich schwöre. Ich bin ja zerbrochen, zerbrochen. Siehst du es nicht.« Und das hilflose Zittern. Desir löste sich, ging. Verließ die Stadtlandschaft, wanderte im Westen herum. Man hörte sehr früh davon, daß er gegen den verbrecherischen Marduk agitierte.
Die Politik des geschlagenen Marduk änderte sich nicht. Schwächer fühlte man ein Jahr lang seine Hand über der Stadt. In grämlicher Bitterkeit vegetierte er, fast von Monat zu Monat stärker ergrauend. Er schien ohne innere Anteilnahme, nur aus Gewohnheit die Dinge weiterzutreiben. Die näher bei ihm waren, wußten, daß er auf seinem Zimmer oft verzweifelt winselte. Einige hatten damals den Eindruck, es genüge, ihm auf die Finger zu schlagen, um seine Richtung zu verändern. Man vernachlässigte herausfordernd den Abbau der Mekifabriken, betrieb die Niederlegung von Gebäudereihen, den Aufschluß der Bodenerträge.
Er hatte schon lange nichts von Jonathan gehört. In dem Zorn seiner Tätigkeit hatte er nicht mehr den Hinweis auf diesen Schmerz bedurft. Breiter schwerer war Marduk geworden, mit eingezogenem Kopf, kleinen zwinkernden Augen, grauen Haarbüscheln an den Schläfen. »Ich bin schon grau, Jonathan, findest du. Und du, laß dich sehen.« Schlank und reif Jonathan, im langen Silbermantel; zögernd leicht furchtsam bot er dem Älteren die Hand. »Du sollst mir helfen, Jonathan. Ich hab wenig Hilfe.« Ob er bedroht sei. »Nein, man bedroht mich nicht.« Lächelnd matt setzte sich Marduk; seine Zimmerwand schimmerte weißlich, als sei sie mit Blech beschlagen: »Was treibst du, Jonathan, den Tag über, den Monat über.« »Den Tag über?« Er arbeitete wie viele andere an einem Moor; es sei keine kleine Arbeit. »Du machst mir einen Vorwurf. Du meinst, es sei eigentlich nicht nötig, ich könnte die Fabriken erweitern.« »Nicht, Marduk. Ich meine das nicht.« »Hast du andere Wünsche?« Als Jonathan schwieg, ihn staunend ansah, saß Marduk schweigend matt da. Die Wache öffnete die Tür; ein bräunlicher Mann, Senator einer westlichen Stadtschaft, trat ein, verneigte sich tief vor Marduk, wagte kaum, sich aufzurichten. Marduk fragte ihn in seiner grämlichen Art nach Namen Absichten. Er wollte nur Marduk sehen, sich vor ihm verneigen. »So« lächelte Marduk bitter, »dazu kommst du her. Das nützt mir nichts, mein Freund. Das stört mich. Ihr braucht euch vor mir nicht sehen zu lassen. Ich will dir etwas sagen: ihr taugt nichts.« Und als der gegangen war, murrte er, er werde sich in Stein aushauen lassen: dann hätten sie den Stoff, der sie seien, und sie könnten sich davor verbeugen, soviel sie wollten. Es ereignete sich, daß nach Jahren zum erstenmal Marduk in einer Senatssitzung erschien, unangemeldet, ohne ein Wort zu sprechen saß und wieder ging. Öfter kam er, horchte ging. Sein sorgenvolles ruheloses Umherwandern in der Stadtschaft. Er wurde einmal auf eine ungeklärte Weise, wahrscheinlich durch ein ungesehenes Gas, im Nordteil der Stadt betäubt und noch rechtzeitig von der ihm nachspürenden Wache aufgefunden. Als Jonathan ihn besuchte, seine helle Verzweiflung: »Sitz ich nicht wie in einer Falle. Wie lange dauert es und sie schlägt zu. Sie belauern mich von allen Seiten. Sie haben Waffen. Sie arbeiten. Ich kann nichts tun. Nicht einmal das kann ich.«
Und immer wieder: »Nicht einmal das.« Er drängte Jonathan plötzlich ängstlich zu sehen, ob jemand vor der Tür sei, und als Jonathan zurückkam, brach er in einen Weinkrampf aus. »Sie können nichts. Ich wache über sie. Vor dem Uralischen Krieg war es nichts und jetzt
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