Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Berge Meere und Giganten (German Edition)

Berge Meere und Giganten (German Edition)

Titel: Berge Meere und Giganten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Döblin
Vom Netzwerk:
Furcht erregte durch die Bemerkung, er sei von Marduk geschickt. Wie es dem Hunde gehe. Die Leute zeigten furchtsam das Tier, das hinkte. Er erklärte, daß Marduk sein Augenmerk neuerdings stark auf Hunde richte. Man dürfe nicht glauben mit dem Vieh umzugehen, als sei es beliebiges Sacheigentum. Einige Tage ging er noch hin, ließ sich, scheinbar sachverständig, den Hund zeigen. Einen Heilkundigen brachte er mit. Der katzbuckelte vor Jonathan, konstatierte an dem Tier mehrere Krankheiten; Jonathan wünschte, daß er das Tier behandle.
    Abende und Nachmittage verbrachte Marduks Freund jetzt in dieser Gesellschaft. Eine ganze Zahl zerlumpter Frauen und Männer saßen da zusammen, rauchten diskutierten. Es waren Leute, die sich nicht der schweren Arbeit zuwenden wollten, nicht den Entschluß aufbrachten auszuwandern, auch viele Kranke. Solche Ansammlungen waren viel in der Stadt. In den Jahren von Marduk war die Stadtlandschaft ein halbes Feldlager. Es kam wenig zu Gewalttätigkeiten; Marduks Horden zogen stark durch die Anlagen.
    Damals trat Berlin, das sonst in Häusern und Fabriken hockte, ganz auf die Felder und Plätze. Die Menschen nahmen Fühlung zueinander. Ein Gefühl der Unsicherheit und Unwirklichkeit lag auf allen.
    In diesem Jahr erlebte Jonathan Dinge von einer Schönheit und Süße, wie er sie nie gekannt hatte. Er nahm Elina, das Mädchen, das er verfolgt hatte, zu sich, verließ mit ihr die Stadt. Durch Hamburg Frankfurt Genf, die südlichen Stadtlandschaften fuhr er. Die erregtere Luft. Die heftigen ungebundenen umeinander wallenden Menschen. Spöttisch hörte er überall die tiefe Ehrfurcht vor Marduk. Mit ängstlicher Neugier wurde er nach den Dingen Berlins befragt. Von dem Augenblick an, wo das junge zahme Wesen, Elina, sich an ihn hielt, hatte er keinen Sinn mehr für die Dinge der Stadt. Er war nach einem Monat, als er am Mainufer mit ihr saß, erschüttert von dem Gedanken an die Ereignisse, die hinter ihm lagen, von dem Segen, der sich an ihm erfüllte. »In was für Schrecken hat er mich hineingezwungen«, flüsterte er, während sie in der sommerlichen Luft sich neben ihm auf der Uferwiese ausstreckte und seine Hand mitzog, »ich kann sie kaum ausdenken, Elina. Sag, Elina, kommt es wohl vor, daß Menschen aus der Hölle entlassen werden, in ein anderes Stück der Ewigkeit, und daß sie das Gedächtnis an das Frühere behalten? So geht es mir.« »Aber du vergißt doch schon, Jonathan.« »Ja, es scheint mir ganz unglaubhaft, was ich getrieben habe, Elina. Laß mich einmal die Augen zumachen; gib mir auch deine andere Hand. Es ist wunderschön hier. Wie ist es möglich, daß solche Dinge geschehen wie die, die ich erlebt habe! Wie können Menschen sich so bewegen! Ich! Ich verstehe nichts, nichts mehr davon. Daß ich in der Stadt bleiben konnte, daß ich mit ihm umging. Wahrhaftig, er hat recht: ich wollte ihn sogar umbringen. Was ging er mich nur an. Ich brauchte doch nur ein paar Schritt vorbeizugehen.« »Sprich doch nicht von ihm. Warum sprichst du nur von ihm, Jonathan. Ich kann dir viel schöne Dinge erzählen. Ich werde dir erzählen – von der armen dummen Elina, die einmal auf einer Steintreppe saß und an einen Hund dachte.« »Nein, es ist nicht nötig, Elina. Es ist ja alles vorbei. Wie vorbei. Ich traure ja beinah um ihn. Er ist noch drin, in der Hölle.« »Leg dich zu mir herunter. Du bist viel schöner als ich bin. Sag mir, was ich bin. Erzähl mir von mir. Ich möchte etwas von mir hören.« Jonathan, dem sie den Kopf auf den Schoß legte, lachte herunter: »Wir sitzen wie ein Märchen auf der Wiese.« »Wie heißt das Märchen?« »Ich weiß noch nicht. Früher habe ich oft mit Frauen gespielt. Es war nicht wie mit dir.« »Ich bin anders, ich bin besser?« »Viel besser. Warum siehst du mich an. Du glaubst es nicht. Die Frauen –« »Nun? Sie waren viel schöner als ich.« »Ich kann mich nicht mehr besinnen, wie sie waren. Aber du bist wie eine Glocke in einer Kirche am Sonntag. Man sieht sie nicht, man hört nur etwas Luftartiges von ihr. Man sagt, es ist die Glocke, die läutet. Und wer fromm ist, geht drauf zu, wo der Klang herkommt. Und selbst wenn man in der Kirche sitzt, sieht man die Glocke nicht, die läutet, kann eigentlich gar nicht sagen, daß es die Glocke ist, die läutet. Du bist da, ich höre und sehe dich; ich sitze auf der Wiese am Main. Ich kann dich genau beschreiben. Das bist du.«
    Sie richtete sich auf, zog die Unterlippe herunter, nahm ihre

Weitere Kostenlose Bücher