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Berge versetzen - das Credo eines Grenzgängers

Berge versetzen - das Credo eines Grenzgängers

Titel: Berge versetzen - das Credo eines Grenzgängers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: BLV Buchverlag GmbH & Co. KG
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haben. Die Fähigkeit, Grenzgänge durchzustehen, ist dabei nicht vorrangig.
    Im Laufe meiner Kletter- und Expeditionsjahre kam es manchmal zu Freundschaften während und auch nach den gemeinsamen Reisen. Diese Freundschaften waren aber nicht von vornherein beabsichtigt. Sie waren Zufall. Die vor allem von Alpinisten hochgelobte Kameradschaft während der Tour war fast immer da.
    Wenn ich mich manchmal gesträubt habe, das Wort »Kameradschaft« zu gebrauchen, dann auch deshalb, weil es so verbraucht ist. Weil vielfach falsche Inhalte dahinterstehen. Wenn vom »Kameraden«, vom »Aufeinander-Eingehen«, vom »Aufeinander-Angewiesensein« gesprochen wird, wird sehr oft geheuchelt.
    Heinrich Harrer zum Beispiel hat sein Erinnerungsbuch zum 50-jährigen Jubiläum der Erstbegehung der Eiger-Nordwand der »Seilschaft« gewidmet. Er wollte damit der Kameradschaft als Lebenshilfe allgemein ein Denkmal setzen, und er nannte drei Beispiele, die ihm zu dieser wichtigen Erkenntnis verholfen hätten.
    Erstens die Seilschaft in der Eiger-Nordwand. Die zwei Österreicher Heinrich Harrer und Fritz Kasparek waren 1938 in der Wand, als die Deutschen Ludwig Vörg und Anderl Heckmair nachkamen, sie überholten. Es kam, wie in den Originalberichten von 1938 und 1939 geschildert, zu einem Wortwechsel. Nur widerwillig und wegen des schlechten Wetters taten sich die beiden Seilschaften zusammen. Wenn sie in der Wand zusammenblieben, dann auch deshalb, weil es nicht anders ging (schlechte Wetterbedingungen, große Schwierigkeiten). Nur gemeinsam, zu viert, hatten die Österreicher eine Chance, lebend aus der »Mordwand« herauszukommen.
    Die Erstbegehung der Eiger-Nordwand bleibt eine der Pionierleistungen des Alpinismus. Und die vier Bergsteiger können wenig dafür, wenn Hitler den Zu-sammenschluss der beiden Seilschaften als Symbol für den »Anschluss« Österreichs ausschlachtete. (Nicht nur Bergsteiger, auch Politiker haben die Seilschaft immer wieder idealisiert, um mit dem entsprechenden Ideal Emotionen zu wecken.) Später ist von der Viererseilschaft aus der Eiger-Nordwand wenig übrig geblieben. Nicht nur, weil Vörg im Krieg gefallen und Kasparek in den Anden Südamerikas verunglückt ist. Auch Heckmair und Harrer sahen sich kaum mehr. Sie sind in Seilschaft nie mehr zusammen geklettert.
    Als zweites Beispiel für die »Seilschaft als Lebensbündnis« erwähnt Harrer seine Flucht mit dem Tiroler Peter Aufschnaiter aus dem indischen Internierungs-lager nach Tibet und Lhasa. Diese Reise aber führte Harrer nur teilweise zusammen mit dem Tibetkenner Aufschnaiter durch. Bei »Sieben Jahre Tibet«, einem der aufregendsten Abenteuer dieses Jahrhunderts, bildeten Aufschnaiter und Harrer zeitweise eine Zweckgemeinschaft; von Freundschaft kann in diesem Zusammenhang keine Rede sein. Sie trennten sich bei ihrem Marsch, kamen wieder zusammen. Auch sie waren teilweise gezwungen, zusammen zu reisen, weil es einer allein nicht schaffen konnte. Später blieb nichts übrig von dieser »Seilschaft«.
    Als drittes Beispiel führt Harrer seine Ehe an. Auch in diesem Zusammenhang fragt sich ein kritischer Beobachter bei einem mehrfach verheirateten Mann wie Heinrich Harrer, ob und inwieweit diese »Seilschaft fürs Leben« einer Wunschvorstellung oder einem Verdrängungsmechanismus entspringt. Einer Gemeinschaft, die zeit- und zielgebunden ist – der Seilschaft –, muss nicht ein ethischer Wert der Kameradschaft aufgesetzt werden. Die Zweckbestimmung reicht. Eine Seilschaft darf im richtigen Augenblick gelöst werden. Man muss auseinanderge hen können. Erzwungenermaßen kann niemand auf Dauer und in Frieden zusammenbleiben.
    Ich habe bisher 60 Reisen mit Expeditionscharakter durchgeführt. Dabei bin ich mit mehr als 200 Menschen lange und in schwierigen Situationen unterwegs gewesen. Niemals hat es – ob Zweckgemeinschaft oder Freundschaft – während der Grenzgänge ernstliche Schwierigkeiten mit meinen Partnern gegeben. Auch wenn die Situation hoffnungslos war. Das Zusammenbleiben-Können war der halbe Erfolg. Wir haben uns zusammengerauft. Immer wieder haben wir Kompromisse, eine gemeinsame Lösung gefunden. Bis die Tour zu Ende war.
    Wenn es zu Brüchen zwischen mir und meinen Partnern gekommen ist, dann ausschließlich nach den Expeditionen, nach großen Erfolgen. Und dies vermutlich nur deshalb, weil

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