Berger, Frederik - Die Geliebte des Papstes
liebevollen Klaps auf die Wange und ließ sich seinen Mantel bringen, um in die Vesper zu eilen. »Willst du mich nicht begleiten? Du müßtest auch mal wieder zur Beichte.« Er wartete aber keine Antwort ab, sondern eilte aus dem Zimmer. »Ich werde Zwiesprache mit Gott halten«, rief er noch aus dem Gang, »und mit deiner Mutter.« Silvia hörte ihn pfeifend die Treppe hinuntereilen, rannte zum Treppenabsatz und schaute ihm nach. Er schüttelte die Faust. »Warum bin ich nicht längst darauf gekommen!« stieß er hervor.
»Warte!« rief sie ihm nach, aber er hörte sie nicht. »Ich will Giovanni aber nicht heiraten«, flüsterte sie kraftlos, wie zu sich selbst.
Der Vater war schon verschwunden.
Langsam ging Silvia zurück in sein Studiolo. Ihr Blick fiel auf die Bücher mit all den astronomischen Symbolen und Listen, mit dem Himmelskreis, in den die Stellung der Sternzeichen und Planeten eingezeichnet war. Entschieden schlug sie die Bücher zu. Während der Vater die Vesper besuchte, mußte sie herausfinden, wo Ippolita sich aufhielt. Womöglich lebte ihre Freundin tatsächlich wieder in ihrem alten Kloster. Dort mußte sie als erstes nachfragen. Silvia verließ umgehend das Haus. Sie überquerte den Tiber auf der Ponte Sisto, eilte durch die verwinkelten Gassen von Trastevere, fand bald Santa Cecilia. Sie fragte an der Klosterpforte nach Ippolita, der Mutter Oberin. Aber es gab nur eine Schwester Ippolita, und als sie schließlich gerufen wurde, sah Silvia in ein altes, ausgemergeltes, mißtrauisches Gesicht. Fluchtartig verließ sie den Besucherraum, eilte in die Kirche. Als sie dort auf die Knie sank, um das Ave Maria zu beten und nachzudenken, sah sie plötzlich hinter dem Altar eine tiefverschleierte Nonne tanzen. Die Nonne schlug die Zimbel, hüpfte und sang und schien Silvia unablässig zu winken. Vielleicht war Ippolita Crispo doch zurückgekehrt! Silvia starrte zum Chorraum, in dem die schwarze Gestalt noch immer ihre Verrenkungen ausführte. Plötzlich beugte sich die Nonne nach vorne, riß ihren Rock hoch und entblößte ihr Hinterteil. Silvia meinte gleichzeitig ein höhnisches Kichern zu hören. Entsetzt schaute sie sich um. Außer ihr und der schamlosen Nonne befand sich niemand in der Kirche.
Sie fühlte sich trotzdem von allen Seiten beobachtet und bekreuzigte sich. Ihr Mund war trocken, und der Hals fühlte sich zugeschnürt an. Mit fast tonloser Stimme rief sie »Ippolita!«. Wieder riß die Nonne den Rock hoch, drehte sich tanzend um die eigene Achse, warf ihren Oberkörper auf den Altar und schrie schließlich: »Warum kommst du nicht?«
Wie tot lag sie nun da.
Silvia wagte kaum zu atmen, schaute sich immer wieder vorsichtig um. Aber der Innenraum der Kirche schien ebenfalls den Atem anzuhalten. Auf Zehenspitzen schlich sie zum Chorraum. Die Nonne hatte den Kopf unter den Armen versteckt und zitterte.
»Ippolita?« flüsterte Silvia.
Das Zittern verstärkte sich. Der rechte Arm bewegte sich ein wenig, und ein einzelnes Auge starrte sie an. Es wurde so aufgerissen, daß die Pupille kreisrund hervortrat. Blutig gezackte Adern durchzogen das Weiße des Augapfels. Mit einem Schrei richtete sich die Nonne auf, riß ihre Arme hoch, und bevor sich Silvia versah, warf sie sich auf sie. Aber jetzt schrie sie nicht mehr unartikuliert, sondern schrie ihren Namen. Und Silvia erkannte in dem mageren, gezeichneten Gesicht mit seinen tiefliegenden, dunkel umrandeten Augen tatsächlich Ippolita.
Ippolita hatte sich mit solcher Wucht auf sie geworfen, daß beide neben dem Altar zu Boden stürzten. Sie bedeckte Silvias Gesicht mit Küssen, lachte und weinte und preßte sie an sich. »O Silvia, du rettest mich, du mußt mich retten«, flüsterte sie atemlos. »Sie haben mich hier eingesperrt und verleugnen mich, meine Eltern wollen nichts mehr von mir wissen, Kardinal Borgia will den Teufel aus mir heraustreiben. O Silvia!«
Wie ein großes Kind klammerte sie sich an Silvia, wälzte sich mit ihr über den Boden neben dem Altar. »Woher kommst du? Woher weißt du, daß ich hier bin? Sie sperren mich in den Carcer. Wenn sie mir Wasser und Brot bringen, starre ich sie an, mit dem bösen Blick, sie weichen zurück, und ich kann ihnen entweichen. Manchmal kreische ich auch, bis sie zu Boden stürzen. Ich kreische den Teufel herbei, und dann kommen die Abgesandten des Kardinals mit ihren Peitschen und Ruten, mit Weihrauch und Wasser. Ich werde gesalbt und geschlagen, und wenn er dann selber kommt, mit seinem
Weitere Kostenlose Bücher