Berger, Frederik - Die Geliebte des Papstes
anderen Reisenden gesellten sich zu ihm. Nur Angelo blieb auf seinem Pferd sitzen.
Gemeinsam legte man den Marmorblock auf die Wegböschung und befreite ihn von den Decken. Michelangelo wandte sich ab. Es wurde still, als das Relief schließlich freigelegt war. Eine Madonna am Fußende einer Treppe, mit ihrem Kind auf dem Schoß. Ältere Kinder spielten hinter ihr. Der Säugling hatte an der Brust getrunken, aber nun schien er eingeschlafen zu sein. Der Blick der Frau war nicht liebevoll dem Kind zugewandt, auch nicht dem Betrachter. Sie schaute ernst, ein wenig traurig in die Ferne, schien zu träumen. Ob die Kinder auf der Treppe ihre eigenen waren? Konnte sie die Last, sie aufzuziehen, nicht mehr tragen? War der Vater der Kinder vielleicht gestorben, so daß sie betteln mußte?
»Schön, wenn auch ungewöhnlich«, sagte Crispo nach einer Weile. Er betrachtete das Relief intensiv und strich mit seinen Fingern über den Stein. »Eine Frau mit mehreren Kindern, das ist auf jeden Fall ein passendes Brautgeschenk – was meinst du, Farnese? Die Frau könnte allerdings mehr Freude ausstrahlen …« Er gab den Helfern einen Wink, das Relief wieder einzupacken und dem Maulesel auf den Rücken zu laden. Er kramte aus seiner Reisebörse mehrere Dukaten. »Ich gebe dir acht«, sagte er zu Michelangelo, »das ist mehr als genug.«
Mit abweisendem Gesicht nahm der junge Bildhauer das Geld entgegen. Die Reisenden stiegen in den Sattel. Sie winkten ihm Lebewohl und ließen die Pferde antraben. Nur Alessandro blieb noch neben Michelangelo stehen. Das Bild der Madonna hatte sich, obwohl er es nur kurz betrachten konnte, tief in ihn eingegraben. Es kam ihm bekannt vor wie ein Traum, der sich mehrfach wiederholt hatte und nun, in Stein gemeißelt, zusammengefaßt worden war. Aber es konnte auch sein, daß das Relief ihn nur an die bettelnden Zigeunerinnen erinnerte, die an den Straßenrändern saßen und manchmal, so fand er, eine tiefe Verzweiflung ausstrahlten. Alessandro hatte ihnen oft ein paar Soldi zugeworfen.
»Sie schaut tatsächlich voller Trauer«, sagte er zu Michelangelo. »Aber ich glaube, gerade das gefällt mir an dem Relief.«
Der junge Bildhauer zuckte mit den Achseln.
»Die Frau wurde mit einem Mann verheiratet, den sie nicht liebt« fuhr Alessandro fort, »sie hat ihm die Kinder geschenkt, die er von ihr erwartete, aber sie muß an den Mann denken, dem ihre eigentliche Liebe gilt.«
Michelangelo sah ihn ernst und prüfend an.
Alessandro nickte seufzend. » Ich hätte dir das Relief abkaufen sollen …«
»He, Farnese, wir warten auf dich«, hörte er rufen.
Michelangelo antwortete nicht, zuckte nur erneut mit den Achseln.
»Du hast mehr Dukaten verdient«, sagte Alessandro, als er Michelangelo zum Abschied umarmte. »Aber du weißt selber, daß Geld nicht das Entscheidende ist. Ich glaube, du bist ein großer Künstler. Dein Werk zeigt die Wahrheit. Und es trifft ins Herz.«
Über Michelangelos Gesicht huschte ein Lächeln.
»Wann kommst du nach Rom?«
»Hier habe ich meine Familie – und meinen Gönner. Und meine Lehrer. Verschaffe mir einen großen Auftrag, und ich komme nach Rom.«
Alessandro war auf sein Pferd gestiegen. »Vielleicht finde ich jemanden. Auf jeden Fall bist du mir jederzeit willkommen.«
Michelangelo reichte ihm die Hand und schaute ihn noch einmal aus seinen tiefgründigen Augen an. »Wir werden uns wiedersehen, Alessandro. Und vergiß nicht: Wir beide schaffen es!«
33. K APITEL
»In den Sternen ist unser Schicksal verzeichnet, man muß es nur erkennen«, sagte der Vater leise zu Silvia und fügte dann verzweifelt an: »Ich sehe zwar die Zeichen, kann sie aber nicht richtig deuten. Es ist furchtbar.« Seine Stimme war lauter geworden, fiel dann in sich zusammen. »Wenn ich sie damals richtig gedeutet hätte – ich hätte euch nicht ziehen lassen. Ich war ohnehin dagegen, für ein so junges Mädchen wie dich schon einen Ehevertrag anzubahnen – aber deine Mutter wollte es so. ›Rufino, wir werden mit der besten und mächtigsten Adelsfamilie Roms verwandt sein‹, höre ich sie rufen. ›Da kann man nicht warten!‹ Ihr Wunsch, dich zu verheiraten, war unser Verderben.«
Aus seinen Augen flossen Tränen. Silvia schaute ihn mitleidig an, fühlte sich aber gedrängt zu widersprechen. »Wenn alles von Gott vorherbestimmt ist, dann konnten wir dem Überfall nicht entweichen«, antwortete sie. »Dann kann der Mensch sich nicht für richtig und falsch, für gut oder böse
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