Berger, Frederik - Die Geliebte des Papstes
Silvia an die Balkonbrüstung. Sie hatte alle Angst verloren. Ihr Vater war schwer verwundet, sie hatte Crispo zurückgestoßen und weggeschickt, ihr trotz allem unvergessener Alessandro hielt sich hinter den Mauern von Capodimonte versteckt, und seine Schwester Giulia, die vom Papst so verwöhnte bella Giulia , befand sich in den Händen der entmenschten Soldateska. Wahrscheinlich war ihr Gewalt angetan worden, so wie Silvia dies bei ihrer Mutter hatte mit ansehen müssen, und dann hatten die Unmenschen ihr die Kehle durchgeschnitten. Ihr vorher auch noch die langen Haare abgeschnitten und ihr mit Schönheit gesegnetes Antlitz entstellt. In Rom nannte man das Zerschneiden des Gesichts sfregio , und manche Hure hatten einen solchen Akt grausamer Gewalt ertragen müssen. Wenn erst die Soldaten die Tür eingeschossen hatten, würden sie sich wutentbrannt wie aufgestachelte Kampfhunde auf alles stürzen, was sich regte. Und auch sie, die Herrin des Hauses, niederwerfen, ihr brüllend die Kleider vom Leib reißen – wie damals! Damals war sie Jungfrau, heute war sie noch immer Jungfrau. Nein, sie mochte es sich nicht vorstellen, sie ertrug die Gedanken an die zu erwartenden Qualen nicht. Lieber stürzte sie sich vom Dach. Ihr Leiden wäre dann kürzer. Ein greller Schmerz – und ewiger Frieden.
Aber konnte sie ihren schwerverletzten Vater der raubgierigen und mordlüsternen Meute überlassen?
Sie würden ihn aus seinem Bett zerren, ihn endgültig zu Tode martern, aus dem Fenster werfen oder ihm seinen Kopf abschlagen und ihn aufgespießt auf der Dachterrasse ausstellen.
Nein!
Die Soldaten unter ihr brüllten etwas hoch, fuchtelten mit den Armen, wiesen auf die Kanone und auf das Hausportal, auf die Fackel und noch einmal auf die Kanone. Silvia beugte sich über die Brüstung.
Unter ihr verzerrte Gesichter mit aufgerissenen Mündern und tierischem Gebrüll.
Nein und noch mal nein!
Sie schüttelte den Kopf und schrie nach unten, sie sollten verschwinden. Die Soldaten verstummten plötzlich. Silvia wußte, daß sie sich nun zu entscheiden hatte. Sollte sie sich einfach fallenlassen, kopfüber hinabstürzen auf das Pflaster, der Mörderbande vor die Füße. Nein, alles in ihr wehrte sich, bis zum letzten Blutstropfen wollte sie sich, ihren Vater und ihre famiglia verteidigen. Gleichzeitig fühlte sie sich gelähmt. Was sollte sie schon gegen diese Horde ausrichten?
Plötzlich hörte sie sich schreien: »Der Teufel soll euch holen, ihr Mörderpack, ich verfluche euch bis ins siebte Glied!« Ihre Stimme ging unter in dem vielstimmigen Gebrüll, das von der Straße hochdrang.
Und dann senkte der Kanonier die Fackel.
Eine heftige Explosion folgte, das Haus bebte, Pulverdampf hüllte alles ein, und das Wutgeschrei verwandelte sich in Schmerzgebrüll. Zuerst sah Silvia nichts. Aber dann sah sie die Männer sich im Dreck wälzen. Blut überall. Abgetrennte Gliedmaßen. Zerborstenes Eisen.
Die Feldschlange war explodiert und hatte die um sie Herumstehenden in Stücke gerissen.
»Der Teufel wird euch holen, der Teufel wird euch holen!« schrie Silvia triumphierend auf die Verwundeten und Sterbenden herab.
Und als hätte der Teufel seine Sendboten schon geschickt, kamen die ersten Krähen und Raben herbeigeflattert.
Die unverletzten Soldaten und andere, die zu Hilfe eilten, zerrten die Schwerverwundeten und Sterbenden in die nächste Gasse, und es dauerte nicht lange, da stand unter Silvia nur das grotesk aufgerissene Eisenrohr der Kanone. Um sie herum bluteten verstümmelte Leiber aus. Die Rabenvögel segelten herab und begannen nach ihnen zu picken. Auch die ersten Hunde schlichen mit geducktem Kopf heran.
Niemand wollte mehr das Haus besetzen.
Silvia eilte zu ihrem Vater, der ihr schwach zulächelte. Sie berichtete ihm von dem Vorgefallenen, aber er schien nur einen Teil zu verstehen. Er lächelte, als sei er schon in einer anderen Welt, und flüsterte: »Dein Bruder …« Dann wurde er wieder bewußtlos. Silvia schickte nach einem Arzt, aber der Knecht kam unverrichteter Dinge wieder zurück. Überall Plünderungen, Überfälle, Tote auf den Straßen. Insbesondere seien die Häuser der Juden ausgeraubt, sogar der Palazzo der früheren Papstgeliebten und Mutter seiner Kinder, Vannozza Cattanei, sei aufgebrochen und geleert. Überhaupt hausten die Söldner in den Palästen wie die Barbaren. Es waren Barbaren!
Um Silvia drängten sich die Mägde und zitterten. Auch die Stallknechte und Hausburschen sahen nicht
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