Berger, Frederik - Die Geliebte des Papstes
Vielleicht kam Angelo noch herübergerudert.
Nach der Rückkehr war sein Bruder wieder sehr ernst gewesen. Natürlich lag seine gedrückte Stimmung daran, daß er nicht erfahren hatte, wo Giulia sich aufhielt. Als er allerdings begann, von Ippolita Crispo zu berichten, hellte sich sein Gesicht auf. In ihr habe er sein Glück gefunden, erklärte er leise.
»Der Borgia hatte sie in seinen Fängen. Vielleicht ist sie vom Teufel besessen«, warf die Mutter ein.
»Sie ist der liebste Mensch auf Erden.«
Die Mutter verdrehte die Augen. »Liebe, Liebe – und warum dauert alles so lange bei euch?«
»Die Ereignisse sind nicht danach, zu heiraten«, erklärte Angelo geduldig, aber bestimmt, und berichtete anschließend über das allgemeine Kriegsgeschehen und seine Folgen.
Charles VIII. hatte Neapel im Handstreich genommen und dann offensichtlich seinen Kreuzzug gegen die Türken vergessen. Er gab sich dem Wohlleben und der Hurerei hin, und seine Söldner nicht minder. Angelo berichtete von dem Geschehen ganz sachlich, und doch schwang Verachtung mit gegenüber dem häßlichen Zwerg, der da gewagt hatte, mit seiner eisenstarrenden Ritterschar und den fremdländischen Schlagetots, insbesondere aber mit Hilfe der beeindruckenden Kanonen, Italien zu erobern und zu verwüsten. Dennoch hatte der Papst ihn mit bloßer Diplomatie überlistet, und seine Geisel Cesare Borgia war dem Dummkopf entflohen. Dafür war die andere Geisel, der Sultansbruder Dschem, gestorben – wahrscheinlich an Gift.
Angelo hatte, während er Alessandro und seiner Mutter die Ereignisse berichtete, den Kamin anstecken lassen und legte nun Holz nach. Er friere leicht, bemerkte er, selbst in dieser Jahreszeit noch, aber wenn die Tramontana blase … Im Feldlager sei dies besonders unangenehm gewesen, vergangenen Winter habe er heftig gehustet. Aber der Frühling werde sich schon noch durchsetzen.
Und dann berichtete er von der neuen Seuche, die viele Franzosen in Neapel überfallen habe und die daher jeder morbo gallico nenne. »Wie eine Überschwemmung breitet sie sich aus, hat längst auch die Italiener erfaßt, ist inzwischen in Rom heimisch und wälzt sich nach Norden wie nach Süden. Es ist eine Lustseuche und Gottes Antwort auf die Sünden der Menschen. ER straft uns!«
Alessandro schwieg, weil er mit seinem frommen Bruder keine Diskussion darüber führen wollte, ob eine neue Seuche nun eine Strafe Gottes sei oder nicht. Er glaubte nicht an diese Theorie, denn die Seuche traf Schuldige wie die Unschuldigen, und Gott war gerecht. Zumindest müßte ein Gott, an den er glauben konnte, gerecht sein. Deswegen glaubte er auch nicht an den strengen, düsteren, eifernden und eifersüchtig liebenden Gott der Bibel, er glaubte an ein Wesen, das fern war, unerkannt, sich nicht zeigte. Die meisten Menschen mußten ihren eigenen Weg finden, ihre Taten vor sich selbst verantworten. Womöglich waren manche von vorneherein auserwählt, ihnen flog alles zu, andere dagegen waren verdammt und konnten sich mühen, wie sie wollten: Am Ende standen doch nur der Galgen, die Armut oder das Siechtum. Viele sind berufen , aber wenige sind auserwählt , hieß es im Matthäus-Evangelium. Ob sein Bruder Angelo auserwählt war? Oder er selbst? Manchmal glaubte er daran, daß ihm Gott nur Prüfungen auferlege und noch viel mit ihm vorhabe, dann wiederum drängte sich ihm der Gedanke auf, er müsse sein Lebensziel gegen alle Widerstände durchsetzen, sogar gegen Gottes Willen. Doch war dies überhaupt möglich?
Das Gespräch mit Angelo stockte eine Weile, aber dann berichtete sein Bruder überraschend, daß ihr Vetter Ranuccio, Condottiere in neapolitanischen Diensten, nicht mehr unter den Lebenden weile. »Er ist nicht im Kampf gefallen, sondern der morbo gallico hat ihn dahingerafft. Irgendwo bei Sermoneta.« Er schwieg kurz, während die Mutter ihn erschrocken ansah. Alessandro erschrak ebenfalls, weil Ranuccio einer ihrer nächsten Verwandten war. Er hatte mit ihm nicht viel zu tun gehabt, daher berührte ihn sein Tod auch nicht persönlich. Aber jeder Tod in der Familie war ein Aderlaß, den man verkraften mußte und der keineswegs eine Gesundung nach sich zog. Nach dem Ableben der Väter gab es vier Söhne und potentielle Erben der FarneseLehen, des Farnese-Namens. Angelo und er selbst, die Vetter Ranuccio und Pietropaolo. Jetzt gab es nur noch drei.
»Ich habe Kranke gesehen …«, fuhr Angelo fort, und seine Stimme zitterte vor Erregung. »Sie sind über und über
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