Berger, Frederik - Die Geliebte des Papstes
mit Geschwüren bedeckt, ihre Knochen schmerzen so, daß sie sich kaum bewegen können, und nachts finden sie keinen Schlaf mehr. Die Seuche trat zuerst unter Soldaten und Huren auf. Manche glauben sogar, die Männer, die den Seeweg nach Indien finden wollten, hätten sie mitgebracht.«
»Sterben denn alle daran?« fragte die Mutter.
»Nein, nein«, antwortete Angelo, »bei vielen verschwinden die Geschwüre nach einer Weile, auch die Schmerzen in den Gliedern. Es soll drüben in der neuen Welt, die der Genuese entdeckt hat, ein Holz geben, dessen Sud hilft. Andere Ärzte meinen, man müsse die Kranken mit einer Quecksilberpaste einreiben und dann in ein Schwitzhaus stecken. So könnten die Gifte abfließen. Ich weiß nicht …« Er schwieg und hielt seine Hände gegen die Flammen. »Niemand ist mehr sicher.«
Alessandro mußte an Giulia denken, und er wußte, daß auch seine Mutter und Angelo an sie dachten. Seine schöne Schwester! Zumindest ihre kleine schwarzhaarige, immer ein wenig traurige Tochter Laura hatte sie hier in Capodimonte unter der Obhut der Großmutter zurückgelassen. Aber sie selbst war, als sie unbedingt nach Rom zu ihrem Geliebten hatte ziehen wollen, schwanger! Alessandro sah die ermordete Signora Ruffini vor sich, Silvias Mutter, er sah sie da liegen in ihrem Blut, gräßlich zugerichtet, er sah den einen Mann, den sein Spieß durchbohrte, den anderen, den sein Pfeil traf, und er sah auch wieder die kleine Silvia vor sich, wie sie zitternd auf dem Boden hockte, wie er sie in den Arm nahm …
Alessandro hatte diese Bilder während der letzten Tage nicht abschütteln können. Während er jetzt unter der ungerührt vor sich hin flüsternden Steineiche lag, beschäftigte ihn nicht nur der Gedanke an Giulia, er fragte sich auch, wie Silvia die Besetzung und Plünderungen der Franzosen überstanden haben mochte, ob auch in ihrer famiglia der morbo gallico Einzug gehalten habe. Immer weniger ertrug er, nach Capodimonte geflohen zu sein und tatenlos von den Ereignissen in Rom und Neapel nur zu hören. Aus diesem Grunde war er auch zur Isola Bisentina gerudert. Er mußte sich ablenken und gleichzeitig nachdenken. Er las Gedichte des großen, unvergessenen Lorenzo, die Liebesverse seines alten Kameraden Pico, Polizianos und natürlich Petrarcas Sonette. Er las auch Ficinos Abhandlung über die Liebe und dann Platons Gastmahl . Um sich abzulenken, schwamm er lange in dem noch kühlen See. Er betete zur Jungfrau Maria und rief laut das Magnificat in den Wipfel der Eiche über ihm. Er lauschte dem Klang der eigenen Worte, der leisen Antwort des Windes in den Blättern.
Plötzlich hörte er seinen Namen rufen. Er sprang auf und rannte zum Felsvorsprung. Es war Angelo, der ihm aus einem kleinen Boot zuwinkte.
»Nachrichten von unserer Schwester«, rief er. »Sie lebt, sie lebt!«
Während Alessandro die Felsen hinabkletterte, vertäute Angelo das Boot. Die beiden Brüder umarmten sich.
»Was ist geschehen? Erzähl!« drängte Alessandro. Angelo reichte ihm Giulias Brief.
Alessandro riß das Siegel auf und las:
Rom , im Dezember 1494
Mein Herzensbruder Alessandro, endlich komme ich dazu, Dir zu berichten, was in den letzten Wochen geschehen ist. Ich hoffe, Ihr habt Euch nicht allzu große Sorgen um mich gemacht, denn ich bin in Sicherheit. Allerdings habe ich mein Kind verloren – die Aufregungen waren zu groß. Und doch braucht niemand zu befürchten, meine Ehre sei angerührt worden. Der Franzose, der Adriana und mich gefangennahm, ein Baron namens Yves d’Alègre, erwies sich als ein echter uomo gentile . Er führte mich zu seinem König, der nicht minder höflich und zuvorkommend war. Allerdings ist er tatsächlich ein grotesk häßlicher Mann. Er könnte mir leid tun, wenn er kein König wäre, so verwachsen, wie er ist, mit Knollennase und tranigen Augen. Er sah mich an, als wollte er mich auf der Stelle verschlingen. Aber er sicherte Adriana und mir beste Behandlung zu. Und dann war auch schon Rodrigos Angebot da, ihm sofort die Lösegeldforderung von dreitausend Talern auszuzahlen. Und schon wurden wir nach Rom eskortiert wie Königinnen.
Und was glaubst Du, wie Rodrigo mir entgegenritt? Der Heilige Vater im Gewand eines Ritters! Sein Wams aus schwarzem, goldbesticktem Samt, Stiefel aus Valencia, ein Barett aus Seide. Um seine Hüfte ein Wehrgehänge mit Dolch und Degen. Rodrigo als schwarzer Ritter! Das mußt Du Dir vorstellen! Er ist ja nicht mehr ganz schlank und jung, aber wie er da
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