Berger, Frederik - Die Geliebte des Papstes
Einmal habe ich sie besucht. Seit Dschems Tod ist sie abgemagert und betet unaufhörlich. Sie lacht noch nicht einmal mehr. Du würdest sie nicht wiedererkennen.«
Giulia versank in nachdenkliches Schweigen.
»Hast du eigentlich Silvia schon besucht?« fragte Alessandro seine Schwester.
Giulia schaute ihn an, und plötzlich traten ihr wieder Tränen in die Augen. »Nein, erst nach der Niederkunft werde ich sie beglückwünschen. Sie hat mir geschrieben, wie gut es ihr während der Schwangerschaft geht …« Ihre Stimme wurde brüchig, und erneut tupfte sie sich die Tränen aus den Augen. »Ich hatte übrigens wieder eine Fehlgeburt, und nun kann ich überhaupt keine Kinder mehr bekommen. Die Ärzte sind sich vollkommen sicher. Verstehst du? Es ist wie ein Fluch, der über unseren Häuptern schwebt. Ich hatte auf weitere Kinder gehofft, von Rodrigo oder meinetwegen auch von Orso. Was ist mir geblieben? Ein einziges Mädchen, meine kleine, stille Laura …« Plötzlich rief sie: »Lucrezia! Lucrezia Borgia!«
Alessandro schaute erstaunt auf. »Was ist mit ihr?«
Giulia griff wieder seine Hand und drückte sie an ihre füllige Brust. »Sie ist gerade geschieden, ich weiß, wie sehr sie sich nach Liebe sehnt, ihr Vater setzt sie skrupellos ein, um seiner Familie Vorteile zu verschaffen. Ich weiß, daß sie dich mag. Wenn du … verstehst du … du mußt dich nur ein wenig anstrengen … Wenn sie ein Kind von dir … Rodrigo würde es sicher legitimieren.«
Alessandro schüttelte den Kopf. Jede Annäherung an die Papsttochter wäre ein Verrat an Silvia. Und außerdem konnte er kaum die Pläne durchkreuzen, die der alte Borgia mit ihr vorhatte. Eine schwangere Lucrezia war nicht zu verheiraten, brachte weder Dukaten noch politische Bündnisse. Ihre Brüder würden Rache nehmen an dem Mann, der es wagte, dem weiblichen Familieneigentum zu nahe zu treten. Und außerdem war nicht klar, ob Lucrezia sich wirklich nach Liebe sehnte oder ob sie nur von wollüstigen Begierden getrieben wurde.
»Sie ist sehr hübsch und hat ein feuriges Wesen«, fuhr Giulia fort. »Du würdest deine Freude an ihr haben. Und klug ist sie auch. Sie hat Aristoteles gelesen, allerdings nur in Latein. Ich glaube, sogar Plato.«
»Und du kannst tatsächlich keine Kinder mehr bekommen?« unterbrach sie Alessandro.
Giulia schüttelte stumm den Kopf und wandte sich ab.
»Es tut mir leid.«
Eine Weile schwiegen beide.
»Hast du eigentlich noch Schulden?« fragte Giulia schließlich.
»Mehr als genug. Nach Pietropaolos Tod sind zwar meine Einnahmen gestiegen, aber noch immer reichen sie nicht aus. Der Borgia muß mir endlich eine anständige Pfründe oder ein einträgliches Bistum geben. Vielleicht kannst du noch einmal – zu geeigneter Stunde …?«
Giulia hob skeptisch die Augenbrauen. »Bei den Borgia nennt man dich nur den Gonella . Außerdem hat Rodrigo sein Mißtrauen noch nicht verloren. Einmal hat er gesagt: ›Dein Bruder muß sich erst wieder bewähren.‹ Und dabei tauschte er einen bezeichnenden Blick mit Cesare aus.«
»Um so mehr sollte ich die Finger von Lucrezia lassen. Ich glaube, sie stellen sich unter Bewährung etwas anderes vor.«
Alessandro fühlte plötzlich heftigen Ärger in sich aufsteigen. Von der ganzen intriganten Familie Borgia fühlte er sich abschätzig behandelt und gleichzeitig bedroht. Er war zu feige, sich offen auf die Seite ihrer Gegner zu schlagen, wagte aber auch nicht, sich ihnen bedingungslos anzuschließen. Er verachtete und haßte sie. Aber gleichzeitig bewunderte er sie. Und dies ärgerte ihn am meisten. Aut Caesar aut nihil . Der Vater Papst, reich wie Krösus und fruchtbar wie Abraham. Die Söhne bald Fürsten. Die Tochter Herzogin. Und über allem schlugen die Glocken von San Pietro. Jesus hätte diese Familie wie die Geldwechsler und Wucherer mit der Peitsche aus dem Tempel Gottes vertrieben. Aber Jesus war am Kreuz gestorben. Es triumphierten die Skrupellosen und Pharisäer.
»Vielleicht hast du recht«, sagte Giulia. »Lucrezia könnte dich in Teufels Küche bringen. Also doch Silvia!«
Wieder erschien das Bild der schwangeren Silvia vor ihm wie ein Madonnenporträt, und unwillkürlich mußte er lächeln. Ja, Silvia, trotz allem! Es war nur ein Mißverständnis gewesen. Sie liebten sich noch immer. Und hatte er sie damals nicht dem Leben zurückgegeben? Do ut des , sagten die alten Römer. Warum sollte auch sie nicht sein Leben und das seiner Familie retten!? Aber er scheute sich, diesen
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